: Richter: Mielke kann nicht mehr
■ Ex-Stasi-Chef für verhandlungsunfähig erklärt, Prozeß eingestellt / Er bleibt jedoch in Haft
Berlin (taz) – Das Berliner Landgericht hat den Ex-Stasi-Chef Erich Mielke gestern für verhandlungsunfähig erklärt. Der Prozeß gegen ihn wegen der Tötung von Flüchtlingen an der Mauer und im Todesstreifen wurde eingestellt. Gleichzeitig wird der Haftbefehl in dieser Sache aufgehoben. Bei der Einstellung, so begründete der Vorsitzende Richter Hansgeorg Bräutigam die Entscheidung, habe sich die Kammer bemüht, das Für und Wider abzuwägen. Letztlich habe man sich auf das Gutachten des Psychiaters und Neurologen Edward Meyer gestützt und sich dessen Meinung angeschlossen: Erich Mielke simuliere nicht, „er kann nicht mehr“. Bräutigam: „Mielke ist 87. Hinter der Fassade verbirgt sich ein erschöpfter und gebrochener Mann.“
In seiner abwägenden Urteilsbegründung ging der – oft und scharf kritisierte – Richter Bräutigam auch auf jene ein, die als Opfer des Repressionsapparates, dem Mielke vorstand, auf eine Verurteilung gehofft hatten. Das Schwurgericht sei sich bewußt, so der Richter mit ständigem Blick auf Erich Mielke, daß eine Verfahrenseinstellung auch Bitternis und Enttäuschung bei Teilen der Bevölkerung hervorrufen werde. Und daß sich viele der Worte Bärbel Bohleys erinnern würden: Wir wollten Gerechtigkeit, statt dessen bekamen wir den Rechtsstaat. Aber, so der Vorsitzende, auch Verfahrensrechte gehörten zu der vom Rechtsstaat angestrebten Gerechtigkeit. Sie würden gewährleisten, daß ein Angeklagter nicht zum bloßen Objekt eines Strafprozesses degradiert werde. Das, so Bräutigam, hätte es in der Geschichte Deutschlands schon zweimal gegeben. „Gerechtigkeit ist ohne den Rechtsstaat nicht zu haben.“ In einem Strafverfahren, und sei es auch wegen schwerer Straftaten, gehe es nicht um eine Verurteilung um jeden Preis.
Mit der Einstellung dieses Prozesses ist Mielke noch kein freier Mann. Noch gibt es einen Haftbefehl wegen des Bülowplatz-Mord-Prozesses. Hier wurde Mielke im vergangenen September zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Anwälte gingen in die Revision, und auch dort wird sich in Kürze die Frage nach Mielkes Verhandlungsfähigkeit stellen. Sein Anwalt Stefan König hält es für möglich, daß Mielke in den kommenden Tagen oder Wochen freikommen wird. Julia Albrecht
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