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Geschichtsstunde der Opposition

■ Was wäre gewesen, wenn – Der vergessene Teil der DDR-Bürgerbewegung traf sich im Haus der Demokratie

Was wäre gewesen, wenn der Generalstreik, den Arbeiter in Karl-Marx-Stadt am 1. Dezember 1989 ausrufen wollten, um die SED-Regierung zu stürzen, vom Neuen Forum in Berlin nicht im Keim erstickt worden wäre? Sähe das vereinte Deutschland heute genauso aus, oder hätte sogar ein erneuerter Sozialismus in der DDR noch eine Chance gehabt?

Im Fernsehen können wir sie jetzt fünf Jahre nach der Wende noch einmal sehen: Demonstranten, die auf der Schönhauser Allee die Internationale singen; Transparente, auf denen eine Räte-Republik gefordert wird; SED-Oppositionelle, die den wirklichen Sozialismus einklagen. Doch wer erinnert sich heute noch an Gruppen wie die Vereinigte Linke, die WF- Plattform oder die Initiative für unabhängige Gewerkschaften? In Berlin traf sich am Samstag der Teil der DDR-Opposition zur Geschichtsstunde, der „nicht mehr in den Medien vorkommt“. Dem „Heldengedenken“ und der westdeutschen „Mythenbildung“, an der sich viele Bürgerbewegte heute beteiligten, wollte man im kleinen Kreis eine kritische Aufarbeitung der eigenen Wendeerfahrungen entgegensetzen.

Viele „ehemalige DDR-Oppositionelle“, so Bernd Gehrke (Mitbegründer der Vereinigten Linken), betrachteten die Geschichte der Wende von dem Platz aus, den sie im neuen System eingenommen hätten, und nutzten die Feiertagsreden für ihre heutige politische Selbstdarstellung. Nicht Rainer Eppelmann und auch nicht Bärbel Bohley, so erinnerte er, seien am 7. Oktober 1989 auf der Schönhauser Allee zusammengeschlagen worden, sondern die Antifa Prenzlauer Berg. Aber die passe heute nicht mehr ins Bild. Nicht über die Wiedervereinigung sei in der DDR- Opposition diskutiert worden, sondern über Menschenrechte, Wehrdienstverweigerung und internationale Solidarität.

Doch Mythenbildung wird derzeit nicht nur vor laufenden Kameras betrieben. Daß sich die DDR- Bürger für Bananen und Jacobs- Kaffee interessiert haben und nicht für Selbstorganisation und Basisdemokratie, nehmen einige DDR- Oppositionelle heute noch übel. „Die Ausreiser“, so Wolfgang Rüddenklau von der Umweltbibliothek, „haben uns mißbraucht und verraten.“ Das Neue Forum, so Wolfram Kempe, ewiger Revolutionär aus dem Prenzlauer Berg, sei sich zu „fein“ gewesen, die Machtfrage zu stellen. Lag die Macht im November 1989 einfach auf der Straße, und hätte das Neue Forum nur die Regierung übernehmen müssen, um die Kapitulation der DDR zu verhindern?

Einfache Geschichtsbetrachtungen, denen Klaus Wolfram, im November 1989 Mitglied des Sprecherrats des Neuen Forums, widersprach. „Wir waren nicht zu feige, um zu regieren.“ Doch man habe im November 1989 schon deutlich gespürt, daß es auf die Einheit zugehe. „Wofür hätten die DDR-Arbeiter denn streiken sollen?“

Erst heute, so Thomas Klein, einziger Abgeordneter der Vereinigten Linken in der DDR-Volkskammer, habe man eine reale Vorstellung von den sozialen und ökonomischen Verhältnissen der DDR im Jahr 1989. „Wir haben in der Wende konsequent an den Interessen der Bevölkerung vorbei agiert.“ Der Zug der Geschichte sei an der DDR-Opposition vorbeigerauscht, „selbst wenn wir klüger und schneller gewesen wären, hätten wir ihn nicht aufgehalten“.

„Warum“, so fragte Klaus Wolfram schließlich, „verstehen wir heute noch nicht, wie man die Menschen erreicht?“ Doch die Antwort darauf wurde aus Zeitgründen auf die nächste Zusammenkunft vertagt. Christoph Seils

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