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Die SPD spielt „Reise nach Jerusalem“

Nach dem Rücktritt von Ditmar Staffelt sucht die SPD verzweifelt nach einer neuen Führungsriege / Selbst Walter Momper wird wieder gehandelt / Die bislang ins Spiel gebrachten Namen sind in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt  ■ Von Severin Weiland

Mancher SPDler, der in diesen Tagen Nabelschau betreibt, kommt mächtig ins Grübeln. Nach dem Rücktritt des Fraktions- und Parteichefs Ditmar Staffelt spielten die Genossen „Reise nach Jerusalem“, wie der Kreuzberger Bürgermeister Peter Strieder meint: „Wo ein Stuhl frei wird, setzt sich jemand hin.“ Der Parteilinke, der von Gesinnungsfreunden als Hoffnungsträger gehandelt wird, aber nach eigenen Aussagen derzeit keine Ambitionen auf einen Posten hat, attestiert seiner Partei ein gehöriges Maß an Orientierungslosigkeit: „Bevor über Personen geredet wird, sollte man zunächst einmal die Situation analysieren, um sich dann über die zukünftigen Aufgaben zu verständigen.“ Doch für diese Reihenfolge ist es längst schon zu spät.

Seit Sozialsenatorin Ingrid Stahmer ihren Anspruch auf eine Spitzenkandidatur anmeldete, machen eine Unzahl von Namen in den Fluren des Abgeordnetenhauses die Runde. Kräftig unterstützt durch die Medien, die den Spekulationen mit jedem Tag neue Nahrung geben, wurden längst abgetauchte Urgeister zu neuem Leben erweckt. So weht seit letzter Woche wieder Walter Mompers roter Schal im Berliner Wind.

Doch der ehemalige Regierungschef und Landesvorsitzende, der einst den glücklosen rot-grünen Senat anführte, hält sich bedeckt. Telefonanfragen blockt er konsequent ab. Will Momper, dessen Abgang in die Baubranche die Partei mit höhnischen Kommentaren begleitete, kalte Rache üben? Oder spekuliert da ein eitler Mann tatsächlich noch einmal auf ein Comeback? Allerlei anonyme Momper-Freunde wurden in den letzten Tagen zitiert und verbreiten die Kunde, der Mann wolle zwar schon, habe sich aber noch nicht endgültig entschieden.

Seine Erfolgschancen sind jedoch äußerst zweifelhaft: Zu gut blieb vielen SPD-Mitgliedern sein autoritärer Führungsstil in Erinnerung, mit der er in den letzten Monaten der rot-grünen Koalition nicht nur den Senat, sondern auch den eigenen Landesverband malträtierte. Sein Abdriften in die Baubranche schien da manchen die folgerichtige Konsequenz eines zunehmend undurchsichtigen und selbstherrlichen Mannes. Daß aber ausgerechnet einem Mann wie Momper breite Aufmerksamkeit geschenkt wird, offenbart den eigentlichen Kern des Problems bei der SPD: Es fehlt weit und breit an personeller Substanz. Noch ist Ingrid Stahmer, unter Mompers Ära Bürgermeisterin, in der Öffentlichkeit ebenso unbekannt wie der dem rechten Flügel entstammende Klaus Böger, dem aussichtsreichsten Kandidaten für den Fraktionsvorsitz, oder gar Detlef Dzembritzki, derzeit kommissarischer Landesvorsitzender.

Die enervierende Personaldebatte will die Partei bis zum Ende dieser Woche ad acta legen. Vor Beginn des Landesparteitages am 15. November soll erst die Fraktion ihren neuen Vorsitzenden wählen. Zugleich ließ sich der Geschäftsführende Landesvorstand für die Diskussion um Spitzenkandidatur und Landesvorsitz einen Trick einfallen: Bis zum Freitag dieser Woche sollten alle „an einer Kandidatur“ interessierten Mitglieder in der Weddinger Parteizentrale durch die Kreisvorsitzenden gemeldet werden, so Landesgeschäftsführer Rudolf Hartung. Ob der Appell fruchten wird, steht dahin. Denn formell hat zumindest der Spitzenkandidat bis zum 20. Dezember Zeit, die notwendigen zwei Prozent Unterschriften (490) oder das Votum einer Kreisdelegiertenversammlung vorzuweisen. Am 5. Februar sollen dann die 24.500 Mitglieder in einer Urwahl darüber entscheiden, wer im Wahlkampf 1995 gegen den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) antritt.

Derzeit ähnelt die Kür des Spitzenkandidaten den früheren ZK- Wahlen der SED: Außer Stahmer hatte kein weiterer SPD-Politiker eine Kandidatur in Erwägung gezogen. Schon um der Urwahl wenigstens den Schein einer demokratischen Legitimation zu geben, muß die SPD einen zweiten Kandidaten aufstellen. Keine leichte Aufgabe. Denn wer sich jetzt meldet und gegen Stahmer unterliegt, wird beim nächsten Mal mit einem Makel ins Rennen gehen.

Bedeckt hält sich auch Arbeitssenatorin Christine Bergmann, die der parlamentarische Geschäftsführer Helmut Fechner – wie Bergmann aus dem Osten der Stadt – letzte Woche ins Spiel brachte. Aus ihrem Umfeld heißt es nun, sie wolle sich beraten. Die SPD-Politikerin, die mit einer leisen, aber phantasievollen Arbeitsmarktpolitik viele Sympathiepunkte erringen konnte und als Mitglied in Rudolf Scharpings Schattenkabinett über Berlins Grenzen hinaus bekannt wurde, wird ein eher unterkühltes Verhältnis zu Stahmer nachgesagt. Für eine Gegenkandidatur also keine schlechte Voraussetzung. Zumal die SPD auch programmatisch ihren Schwerpunkt im kommenden Jahr in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik setzen will. Bergmann könnte die unruhige Ostbasis zügeln, die sich im Machtgepokere bislang untergebuttert sieht.

Der ebenfalls aus dem Osten stammende Jugendsenator Thomas Krüger, demnächst Bundestagsabgeordneter in Bonn, wurde letzte Woche von seiner Parteispitze gehörig zusammengestaucht, weil er Interesse am Landesvorsitz angemeldet hatte. Zu seiner wagemutigen Bemerkung hatten ihn offenbar die Erinnnerungen an den letzten Landesparteitag im Sommer animiert: Damals unterlag er bei der Wahl zum Kassierer nur ganz knapp seinem Kontrahenten Klaus-Uwe Benneter vom linken Flügel.

Um das Amt des Landesvorsitzern scheint sich – aus guten Gründen – niemand so recht zu reißen: Sieben Landesvorsitzende hat die Partei in den letzten 15 Jahren ein mehr oder weniger kurzes Gastspiel gewährt und anschließend abserviert. Doch nachdem selbst der stellvertretende Bundesvorsitzende Wolfgang Thierse von Bonn aus seine Ablehnung signalisierte, scheint das Amt auf Detlef Dzembritzki hinauszulaufen. Vorsorglich kündigte der Reinickendorfer Bürgermeister schon einmal seine Kandidatur für die Wahl des Landeschefs auf einem Sonderparteitag am 12. Dezember an. Dzmebritzki, bisher ein „no name“ außerhalb des SPD-Milieus, werden nicht die allerschlechtesten Aussichten eingeräumt. Der Parteilinke ist kein Mann des lauten Wortes, gilt aber als durchsetzungsfähig. Im Rat der Bürgermeister machte der Parteilinke sich in den letzten Wochen als entschiedener Gegner des geplanten zentralen Landesschulamtes einen Namen. Dabei ließ er es sich nicht nehmen, in einem an die Medien gesandten Brief auch Staffelt ordentlich in die Mangel zu nehmen.

Sollte es zur Troika Dzembritzki, Böger und Stahmer kommen, wäre immerhin der linke Flügel der Partei wieder personell repräsentiert. Eine Entscheidung, wer und in welche Richtung der Tanker SPD zu steuern ist, ist damit noch längst nicht getroffen. Denn Themen, wie etwa ein möglicher Ausweg aus der Großen Koalition mit oder ohne PDS-Tolerierung, wurden bislang tunlichst unter der Decke gehalten. Für Kreuzbergs Bürgermeister Strieder kann es „nicht angehen, daß die Existenz der PDS auf Dauer eine Große Koalition vorschreibt“. Ob die Troika angesichts der schwierigen Lage der Stadt ein stabiles Korsett für die Partei bildet, wird intern von vielen angezweifelt. Nicht vergessen ist in der SPD jene Ära unter Bundeskanzler Helmut Schmidt, als die Partei mit Willy Brandt als Parteivorsitzenden und Herbert Wehner als Fraktionschef an den Rand der Handlungsunfähigkeit gesteuert wurde.

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