: Humanitär oder selbstverständlich?
■ Frachter mit 450 Tonnen Pestizidabfall aus Albanien zurück / Großer Bahnhof mit Minister & Senator im Hamburger Hafen Von Marco Carini
Kaiser-Wilhelm-Hafen, Uni-Kai, Schuppen 73b, punkt viertel vor sechs. Zwei dunkle Limousinen bahnen sich den Weg durch die Morgen-Dämmerung, nehmen Kurs auf den Frachter „Louis Green“. Eine Szene wie aus einem Edgar-Wallace-Thriller. Und tatsächlich steuert in diesem Moment ein Umwelt-Krimi seinem Show-Down entgegen. Die Odyssee von 450 Tonnen Giftmüll - Pestizide aus der Ex-DDR, die erst nach der Wende nach Albanien verschifft worden waren - geht zu Ende.
Von Bundesumweltminister Klaus Töpfer und Hamburgs Umweltsenator Fritz Vahrenholt medienwirksam in Empfang genommen, sollen die Chemikalien nach kurzer Zwischenlagerung in Hamburg in Hessen und Bayern verbrannt oder deponiert werden. Höchstens bis Ende Dezember sollen die Alt-Pflanzenschutzmittel in der Hansestadt in Speziallagern untergebracht werden. Vahrenholt: „Mit der Zwischenlagerung sind keine Gefahren verbunden“.
Bereits um halb vier morgens hatte das Greenpeace-Schiff „Beluga“ von den Fischauktionshallen aus Kurs auf die „Louis Green“ genommen, um den „Giftfrachter“ sicher in den Hamburger Hafen zu eskortieren. Am Mast wehte ein Transparent mit der Aufschrift: „Wir fordern: Aus für Giftschieber!“
Für Fritz Vahrenholt illustriert der Pestizid-Fall „das Problem der Grauzone zwischen Wirtschaftsgütern und Abfällen“. Denn da zumindest Teile der Pestizid-Fracht 1991 und 1992 kurz vor Ablauf ihres Verfallsdatums nach Albanien verschifft wurden, war der Export dieser Mengen legal. Erst in der Volksrepublik wurde aus dem Wirtschaftsgut Giftmüll. Vahrenholt mit Seitenblick auf seinen Amtskollegen Töpfer: „Bonn muß sich in Zukunft mehr darum kümmern, daß keine Chemikalien in Länder exportiert werden, die damit gar nicht umgehen können“.
Denn die albanischen Bauern verfügen über keinerlei Erfahrungen in der Anwendung der hochgefährlichen Chemiegifte, deren Einsatz in Europa zum Teil verboten ist. Zudem fehlt in dem ärmsten Land Europas Schutzkleidung für die Anwender der „Pflanzenschutzmittel“.
Während Klaus Töpfer klarstellte, daß der Rücktransport der Chemiegifte nur „aus humanitären Gründen“ erfolgt ist, da es „keine öffentliche Aufgabe der Bundesregung“ sei, „den bestimmungsgemäßen Gebrauch“ exportierter Chemiegifte zu gewährleisten, sprach Amtskollege Vahrenholt „von einer selbstverständlichen Rücknahmepflicht“. Es könne nicht angehen, „daß die Bundesrepublik als Folge der Deutschen Einheit Pflanzenschutzmittel exportiert, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.“
Siehe auch Bericht Seite 7
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