: Aufgeklärte Jelinek
Elfriede Jelineks Komödie „Raststätte oder Sie machens alle“ am Wiener Akademietheater ■ Von Dieter Bandhauer
Zu einigen Takten aus Mozarts „Cosi fan tutte“ (frei übersetzt: „sie machens alle“) – draußen am Parkplatz blinken die Scheinwerfer durch die Glasscheibenfront rhythmisch in den Zuschauerraum – stöckeln Kirsten Dene und Maria Happel in die von Karl-Ernst Herrmann gebaute Autobahnraststätte, die entsprechend den Regieanweisungen Elfriede Jelineks tatsächlich „auf den ersten Blick nicht in Betrieb zu sein scheint“. Mit den grünen Stiefeletten und dem silber-metallic glänzenden Minirock hat Maria-Elena Amos für Maria Happel jene „beinahe futuristisch“ anmutende Bekleidung gefunden, die sich Jelinek für Claudia, „die jüngere der beiden Frauen“, gewünscht hat. Kirsten Dene aber wurde von der Kostümbildnerin für die Rolle der Isolde nicht in einen properen Sportdreß gezwängt, sondern in ein blaßrosafarbiges Kostüm.
Die beiden Hausfrauen aus der Provinz, die in Jelineks Geographie scheinbar überall ist, kommen zwar nicht gleich zur Sache, machen aber schnell klar, worum es geht: Sie sind mit zwei Tieren, einem Bären und einem Elch, die ihre tierischen Dienste in einem Inserat angeboten haben, auf der Damentoilette verabredet, um endlich das Tier in sich kennenzulernen. Isolde: „Ich will keine verschlossene Natur mehr sein. Ich will verschmutzt werden.“
Die beiden mit Sportgeräten und Koffern in die schlagartig mit obszönen Neondarstellungen erhellte Lokalität nacheilenden Ehemänner – Martin Schwab und Hans-Dieter Knelbe in „extrem scharfer Sportkleidung, die nicht so recht zum Körperbau paßt“ – werden erst später, als Isolde und Claudia bereits auf dem Weg zur Toilette sind, von einem im roten Anzug steckenden Kellner (Traugott Buhre) aufgeklärt, daß ihre Ehefrauen dabei sind, „das Geschlecht, das sie erhalten haben, gerade lauthals herauszuposaunen“.
Doch auch wenn im folgenden Akt die mit den Kostümen der Tiermänner verkleideten Ehemänner hinter verschlossenen Klotüren in allen möglichen Stellungen durchaus monogam mit ihren Frauen kopulieren, bleibt in Claus Peymanns Inszenierung Jelineks Sprache im Zentrum des Geschehens. Denn Jelineks Figuren sind nichts ohne ihre, sie wie ein zu großes Kostüm umgebende Sprache, die gleichzeitig scheinbar widersprüchlich aus ihnen herausplatzt.
Geschickt montiert Jelinek Sprachfetzen der Fernseh-, Auto-, Sport-, und Sex-Gesellschaft – die derart entstehenden Wortfolgen treiben ebenso erhellende wie triviale, gleichsam entlarvende und oberflächliche Blüten: „Darunter die Sparbüchse einer attraktiven Sekretärin, die unseren Sekreten den Schlitz aufhält, bis in ihrer weichen Ware endlich der Groschen fällt.“
Im dritten und letzten Akt werden die Ehemänner erst auf einem Videofilm, der die Szenen auf der Toilette zeigt, von ihren Gattinnen erkannt und plötzlich auch anerkannt. Vorher noch unbefriedigt von den tierischen Leistungen, erscheint jetzt im Fernsehlicht alles „echt irre“. So haben Elch und Bär, nachdem sie den beiden Ehemännern zur Selbstfindung das Kostüm abgegeben haben, ihre Schuldigkeit getan. Hat man erst einmal das Tier in sich entdeckt, können die Fremdtiere geschlachtet werden.
Mit von Tierliebe diktierten Schlachtrufen – „Die armen Viecherln! Die haben doch keinem Menschen was getan!“ – werden Elch und Bär mit Schlägen und Fußtritten attackiert. Aus den Fellen, die Rudolf Melichar und Heinz Schubert verhüllten, steigen dann zwei japanische Philosophiestudenten; in Peymanns Inszenierung werden sie von Therese Affolter und Josefin Platt gespielt. Von der Festplatte ihrer Electronic Books lesen sie den durchaus geheimnisvollen Schlußtext, der aber selbstreflexiv die Antwort als Frage bereithält: „Warum mußte der Raum, der doch so schön war, jetzt seinen eigenen Bühnenvorhang aufhalten, um uns als Hervorbringung zu zeigen?“
Peymann jedenfalls ist in seiner Inszenierung nicht dazu bereit, eine Interpretation von Jelineks Text anzubieten. Er spielt seriös vom Blatt, ohne Streichungen, jeder Regieanweisung der Autorin folgend. Aber die angestrebte Werktreue ist nur eine vorgetäuschte, beraubt er doch Jelineks Stück des irritierend Anti-Aufklärerischen.
Peymann wollte offensichtlich der Gefahr entgehen, die sich selbst denunzierenden Figuren nochmals zu denunzieren. Er begibt sich mit seinen Schauspielern nicht ins Labor, wo Verhaltensweisen ausgereizt werden können, sondern bleibt dort, wo er zu Hause ist – auf der Bühne einer moralischen Anstalt. In Anbetracht von Jelineks Skepsis gegenüber dem Theater fast eine Provokation. Jenes Peymannsche Verfahren, gerade Kunstfiguren mit psychologischem Realismus auszuleuchten – und dies hat bei Thomas Bernhards Stücken immer funktioniert –, schlägt in der „Raststätten“-Inszenierung in eine Betulichkeit um, die die Luft aus den Sprechblasen, die Jelineks Figuren anstelle einer Seele besitzen, entweichen läßt. Anstelle praller Sprachkörper bleibt es bei abgeschlafften Menschen.
Claus Peymann nutzte die Chance nicht, sich einmal auf etwas ihm schroff Entgegengesetztes einzulassen, seinen moralisch-aufklärerischen Impetus an Jelineks desillusionierendem Menschenkunstbild zu überprüfen und möglicherweise zuzuspitzen, sondern er vereinnahmte Elfriede Jelineks Komödie, ließ sich in der „Raststätte“ gewissermaßen heimisch nieder.
Das Ergebnis ist eine völlig spannungslose, jedem Konflikt aus dem Wege gehende Inszenierung; durchaus bemüht, doch von der Anstrengung, mit der Claus Peymann das Stück befragt hatte, bleiben nur Angestrengtheiten und ein schaler Nachgeschmack zurück.
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