: Wenn Kinder nur „Dkidda“ schreiben
■ Eine Grollander Grundschul-Integrationsklasse will mit aller Macht zusammenbleiben
Verena W. ist zehn Jahre alt. „Wir haben heute ein Diktat geschrieben“, erzählte sie gestern, „da haben wir alles falsch geschrieben.“ Das Wort „Diktat“ zum Beispiel mit D-K-I-D-D-A. Von der Lehrerin bekommt sie die fünf, die sie verdient hat. Grundschule Grollend, 4. Klasse. Die ganze Klasse ist so drauf. Die Schülerin ist begeistert. In Mathe auch. „Das macht Spaß“, sagt Verena. Auf diese Weise sind die SchülerInnen am Ende alle sonderschul-reif, jedenfalls formal gesehen. „Wir sind stolz auf unsere Kinder“, erklärten gestern die Eltern der Viertklässler in einem Protestbrief an den Bildungssenator.
Denn die kollektive Leistungsverweigerung sei der einzige Weg, wie die Klasse beim Übergang in die SEK 1 zusammenbleiben könnte - in der Sonderschule. „Wir, die Eltern, behalten uns vor, den Antrag auf Überweisung unserer Kinder in die Sonderschule zu stellen.“
Der grotesken Protest-Aktion geht eine lange Konflikt-Geschichte voraus. Hintergrund ist die Forderung der Eltern und der SchülerInnen, daß sie als Integrationsklasse zusammenbleiben können - wie es eigentliche dem pädagogischen Konzept des Bildungssenators entspricht und „rechts der Weser“ in der Regensburger Straße etwa selbstverständlich ist. 22 „normnale“ und 5 behinderte Kinder haben die Grundschule Grolland zusammen durchgemacht und sind bis zur 4. Klasse zusammen geblieben.
Das war nicht selbstverständlich. Die Eltern schreiben: „Als wir uns vor gut drei Jahren darauf einließen, unsere Kinder gemeinsam mit geistig behinderten Schülern in einer Klasse unterrichten zu lassen waren einige von uns Eltern skeptisch, ob das wokl gut geht. Doch dann merkten wir sehr schnell, daß unsere Kinder viel Spaß mit ihren behinderten Mitschülern hatten und trotzdem oder gerade deswegen gute Leistungen im Unterricht erbrachten.““
Geld fehlt, wie auch die Sprecherin der Bildungsbehörde bestätigt, um neue Klassenräume bauen zu können. Da in den Integrationsklassen bestimmte Fächer - wie Mathe zum Beispiel - nicht zusammen gegeben werden, benötigt eine Integrationsklasse praktisch zwei Räume. Und die fehlen an der Hermannsburg, wo die Grolländer SchülerInnen zur Sekundarstufe I gehen sollen. Das Problem ist seit drei Jahren absehbar, aber Vorsorge wurde nicht getrofffen.
Besonders sauer sind die Eltern auf den Bildungssenator und seine leeren Versprechungen. Im Frühjahr sammelten sie Unterschriften von prominenten Schriftstellern und KünstlerInnen bis Christa Wolf und Wolf Biermann. „Daraufhin kamen Sie, Herr Senator, zu uns und unseren Kindern in die Schule und versprachen, sich darum zu bemühen, daß diese Klasse zusammenbleiben kann. Aber nichts geschah.“ Im September dieses Jahres bestreikten Eltern und Schüler 14 Tage lang den Unterricht und schlugen Zelte an der Schule Hermannsburg auf. „Daraufhin besuchten Sie, Herr Senator, uns am Lagerfeuer auf dem besetzten Platz und erklärten, daß Sie unseren Kampf für die behinderten Schüler bewundernswert fänden und daß ein Weg gefunden werden müßte, daß diese 4. Klasse zusammenbleiben kann. Aber nichts geschah.“
In ihrer Verärgerung überlegten die Eltern messerscharf: „Wenn die behinderten Schuler nicht zu den nichtbehinderten dürfen, dann müssen eben die nichtbehinderten Schüler zu den behinderten gehen!“ Die ersten Fünfen und Sechsen sind bereits geschrieben. K.W.
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