: Ein Hans im Glück
Dank eines Devotionalienhändlers denken die Amateure des FC Bayern nach 7:6 über den VfB Stuttgart schon an das Pokal-Halbfinale ■ Aus München Gerhard Pfeil
Droben auf der Tribüne brannten bengalische Feuer, und die Menschen standen auf ihren Sitzen, hoffend, flehend, und sie fühlten mit dem Mann, der unten einsam, den Kopf gesenkt, über den Rasen schritt. Nichts spürte der von den Empfindungen der Zuschauer im Stadion, „verdammt allein“ kam sich der Fußballer Hans Pflügler vor, und wahrscheinlich hätte er gerne vor sich hingepfiffen, wie man das so macht, wenn man sich ein wenig fürchtet. Plötzlich dann ging alles ganz schnell. „Der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt, ich habe geschossen, dann war ich froh.“ Im Tor nämlich landete das Sportgerät, und Hans, der Einsame, mutierte zu Hans im Glück, und wäre da nicht der Absperrzaun gewesen, vermutlich hätte er sich hineingestürzt in die nun restlos enthemmte Menge auf der Tribüne. Menschen lieben Märchen, und auch deswegen lieben so viele Menschen den Fußball, denn der schreibt manchmal die schönsten. Am Dienstag abend handelte die Geschichte von Hans im Glück, Ex-Nationalspieler, hauptberuflicher Devotionalienhändler und nebenbei Kapitän der Amateure des FC Bayern München, und seinen zwölf Freunden, die sich trafen im Grünwalder Stadion, um den Bundesliga-Profis des VfB Stuttgart eins auszuwischen. Sie rackerten, sie kämpften, und irgendwann spätabends hatten sie die Schwaben besiegt. 120 Spielminuten waren dazu nötig (nach denen stand es 2:2) und 18 Versuche im Elfmeterschießen, um dem Kicker-Drama das Happy-End folgen zu lassen. Mit 7:6 gewannen die Regionalligakicker die Schußlotterie, womit sie nun als einziges Amateurteam der Republik das Viertelfinale im DFB-Pokal erreicht haben.
Menschen lieben Märchen. Was die Anhänger des FC Bayern betrifft, scheint es allerdings so zu sein, daß die sich ausschließlich mit den Seifenopern der Profiabteilung beschäftigen wollen, nicht aber mit dem Gefühlskarussell, das die Reserve des Vereins alljährlich im Pokalwettbewerb bietet. Schon im Vorjahr gelangte die Mannschaft von Trainer Hermann Gerland bis ins Viertelfinale, interessiert haben sich dafür maximal 3.000 Fans. Dieses Jahr verabschiedeten die Grimms, Protzels, Hagers oder Gerstmeiers nacheinander Werder Bremen (2:1), den Chemnitzer FC (7:6 nach Elfmeterschießen) und nun den VfB, mehr als 3.500 Interessenten mochten sich nie einfinden.
Selber schuld. „Wer heute nicht da war“, meint Gerland nach dem Sieg, „muß sich ärgern.“ Schon nach der 14. Minute hatten die Augenzeugen mehr Fußball gesehen als bei den letzten vier Parteien der Profis. Gerster brachte die Amateure in Führung (3.), Stuttgarts Foda traf per Fernschuß die Latte (4.), Münchens Radlspeck den Außenpfosten (7.), Strunz (Stuttgart) per Kopf ins Tor (11.) ebenso wie Bobic, der zum 2:1 für den VfB abstaubte (14.). Fortan lief der VfB den Bayern hinterher, im Kombinationsspiel der Münchner gingen die Stuttgarter unter: Nach 70 Minuten fiel der verdiente Ausgleich durch einen Freistoß von Gerstmeier. Es kam zur Verlängerung, und es geschah nichts, es kam zum Elfmeterschießen, und die Anwesenden standen Kopf vor Glück. Und Hans Pflügler, gesegnet mit der Weisheit des Nationalspielers, sprach: „Ich glaube, das ist es, was den Profis fehlt.“ Denen des FC Bayern. Denen des Verlierers VfB fehlte was? „Kampf.“ So analysierte der gerade in diesem Punkte stets vorbildlich gewirkt habende Dieter Hoeneß. Für Trainer Jürgen Röber, eben noch obenauf gewesen, war es „die bitterste Niederlage, seit ich in Stuttgart bin“. Das ist immerhin so lange nicht, so daß die Überraschung echt gewesen sein mag. Aber Hoeneß? „Wir haben es hundertmal gepredigt“, lamentierte der Manager, dem es trotz allen Wissens um das VfB- übliche Schwächeln dennoch „immer ein Rätsel bleiben wird, wie man eine solche Riesenchance vergeben kann“. Die wäre nämlich eine halbe Million Mark wert gewesen.
Den Amateuren hingegen, vollends euphorisch, nachdem ihnen Zweitligist Wolfsburg als kommender Gegner zugelost wurde, versprach Bayern-Noch-Präsident Fritz Scherer, scheinbar losgelöst vom allgemeinen Frohsinn, vorlaut 5.000 Mark Siegprämie pro Nase. Und für ein Erreichen des Halbfinales sogar noch mehr. Was Manager Uli Hoeneß ziemlich erzürnt haben soll, wie man hört. Geld gibt man bei den Bayern nämlich nur für Seifenopern aus.
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