: „Auf eine Bohrinsel, mal das große Abenteuer“
■ Birgit K. arbeitet als eine der letzten noch in der Filmproduktion von Orwo
„Direkt nach der Wende hatte ich erst einmal nur Angst. Da hatte ich auch gleich ein ganz blödes Erlebnis. Ich hatte schon länger überlegt, mal eine andere Arbeit zu machen, am liebsten was Soziales. Die Wende, dachte ich mir, das ist die Chance. Ich hab dann an ein SOS- Kinderdorf geschrieben und um Infos gebeten. Da haben die mir geschrieben, ganz klipp und klar, daß ich zu alt sei. Da war ich 38 oder 39. Ich habe mir bis dahin überhaupt nicht vorstellen können, daß mal jemand sagt: „Dein Alter!“ Da hab ich gesagt: „Das System kann ja nicht gut sein.“
Was mich sehr abgestoßen hat, war auch unser eigenes Verhalten, als sie die ersten Leute in den Vorruhestand geschickt haben. Das hieß, die werden entlassen, und in dem Moment haben viele die einfach im Kopf abgehakt. Das hat mich verletzt. Ich war bei jeder Entlassung richtig krank. Mittlerweile hab ich den Titel „Café Arbeitslos“, weil ich zu vielen Arbeitslosen Kontakt habe. Das einzige, was man noch geben kann, ist eine Stunde Zeit und mal reden.
Viele haben Orwo aufgegeben. Das hat mich immer traurig gemacht. Ich hab immer gesagt: Einen alten Menschen pflege ich auch, bis er stirbt. Ich arbeite da bis zur letzten Minute, bis die sagen: Hier ist deine Kündigung. Ich bleibe hier, ich gehöre einfach hierher. Alle können ja nicht gehen. Irgendwann muß hier auch was passieren, und da müssen auch Leute hierbleiben.
Ich habe einige Demonstrationen miterlebt um Orwo, und ich bin traurig, wie wenig die Leute, die es betrifft, davon wahrnehmen. Es ist, als ob die Leute hypnotisiert wären. Einmal war dieser Rexrodt da, das regnete den Tag, und der ließ die Leute stehen. Was mich damals richtig erschreckt hat, war, daß nicht einer gesagt hat: „Mensch, wann kommt der endlich mal zu uns.“ Die Leute ertragen alles nur noch. Die standen da wie auf einer Beerdigung und haben geschwiegen. Da ist auch ein bißchen System hinter der ganzen Sache. Die haben uns so auseinandergescharrt, daß keine Reaktion mehr kommt.
Heute ist gut dran, wer noch einen Freundeskreis hat. Das ist wahrscheinlich das einzige, was noch hilft. In der Verwandtschaft oder der Familie herrscht jetzt soviel Egoismusdenken. Das sind nicht die von drüben, das sind wir selber. Die nachgemachten Wessis sind die Schlimmsten.
Es ist aber auch viel Gutes passiert, das muß man auch sagen. Wenn ich mir zum Beispiel die Fassaden angucke, daß man aus Grau farblich was Schönes machen kann, das ist schon wunderbar. Auch renovieren, das ist jetzt möglich, jetzt, wo man Tapete kriegt. Ich renoviere alles alleine.
Ich glaube, wir sollten so bleiben, wie wir sind. Wir können die 40 Jahre nicht so einfach überspringen und nun auf einmal West sein. Wenn wir alles im vernünftigen Maß machen, ist schon einiges Schönes dabei.
Ich nehm' das jetzt einfach als Chance, noch mal was zu machen, was ich immer mal gewollt habe. Ob es klappt oder nicht klappt, werde ich ja sehen. Ich würde gern mal auf eine Bohrinsel, ich habe da eine entsprechende Annonce gelesen. Mal das große Abenteuer. Viele haben so etwas in ihrer Jugend gemacht, aber da hatte ich nur Pflichten. Jetzt habe ich keine Pflichten mehr, nur noch meine Bedürfnisse.“
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