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■ Nicht beantwortete FragenVera Wollenberger

Obwohl Herr Gysi unlängst vor laufenden Kameras beteuert hat, er würde sich einem Gespräch mit seinen ehemaligen Mandanten und Betroffenen seiner anwaltlichen Tätigkeit stellen, hat er sich diesem Gespräch bislang entzogen.

Statt dessen veröffentlicht er in der taz einen Rundumschlag, der ein „Scharf-ins-Gericht-Gehen“ mit den Bürgerrechtlern sein soll. Wer nach diesen Ankündigungen und den vorhergehenden dunklen Andeutungen über einen ominösen Strategen im Hintergrund, der die Bürgerrechtler angeblich dirigiert, Sensationelles erwartet hatte, war überrascht.

Herr Gysi zeichnet ein Bild der Geschehnisse aus seiner Sicht – dicht an der Wahrheit, aber immer nur dicht daneben.

Sonst hat sein wortreiches Elaborat außer Gehässigkeiten und peinlichen Versuchen, seine Kontrahenten anzuschwärzen, nichts zu bieten.

Niveaulos ist auch Herrn Gysis Behauptung, die Bürgerrechtler würden den Rechtsstaat nicht wollen, weil sie die Art des Hamburger Oberlandesgerichts, das Leute wie Hermann Kant, Peter-Michael Diestel und Gregor Gysi juristisch begünstigt, kritisieren.

Was den Part über mich betrifft, muß ich eines klarstellen: Ich hatte auf der Pressekonferenz wahrheitsgemäß klar gesagt, daß ich nicht Herrn Gysis Mandantin war, sondern er mich als Anwalt meines ehemaligen Ehemannes im Gefängnis aufgesucht hat. Wenn Herr Gysi nun den Eindruck zu erwecken versucht, ich hätte mich als seine Mandantin ausgegeben, so soll das wohl dazu dienen, meine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen.

Dann streitet er ab, daß ich ihn mehrfach zum Gespräch aufgefordert habe, obwohl er gleichzeitig einräumt, daß wir miteinander korrespondiert haben, weil er sich hartnäckig der Beantwortung meiner Fragen entzog. Er hat geantwortet, aber ohne eine einzige Frage zu klären. Er tut das auch jetzt nicht. Statt dessen breitet er die Gefängnisszenen meiner Ehe vor der Öffentlichkeit aus, umgeht aber den einzig wichtigen Punkt.

Nachdem ich die Vereinbarung, deren Zustandekommen und Einzelheiten er wortreich beschreibt, unterschrieben hatte, beeilte sich Herr Gysi mir zu erklären, daß ich nunmehr beruhigt ausreisen könne, denn er, Gysi, würde mir meine Kinder nach Ablauf der sechs Wochen an jeden Ort der Welt hinterherbringen.

Ich zog es vor, dieses freundliche Angebot abzulehnen und im Gefängnis zu bleiben. Als ich das gesagt hatte, verlor der bei dem Gespräch anwesende Wachmann seine Contenance. Offenbar hatte man fest damit gerechnet, mich an diesem Sonnabend über die Grenze schieben zu können. Ich weiß, ich kann, was sich im Stasigefängnis abgespielt hat, nicht beweisen, denn ich war, einschließlich meines eigenen, nur von Stasimännern umgeben. Aber Herr Gysi weiß wie ich, daß es so war. Das stimmt auch mit den folgenden Ereignissen überein, die Herr Gysi einräumt und wo er zugibt, meinem damaligen Mann zugeredet zu haben, seine Blockadehaltung gegen meine Ausreise aufzugeben. Wer oder was immer meinen damaligen Mann bewogen hat, seine Meinung zu ändern, weiß ich nicht. Ich will auch nicht seine Aussage gegen Herrn Gysi verwenden. Meine Frage war immer, warum Herr Gysi an jenem Montag die Staatsanwaltschaft in meiner Angelegenheit aufsuchte und in wessen Auftrag. Beim flüchtigen Lesen von Herrn Gysis Ausführungen soll der Eindruck entstehen, es wäre mein Mann gewesen.

Beim genauen Hinsehen merkt man aber, daß Herr Gysi das nicht behauptet.

Er hat auch nie offengelegt, wer ihm bei der Staatsanwaltschaft gesagt hat, daß eine Entlassung für mich nicht vorgesehen wäre, obwohl es meine Entlassungsanweisung für eben diesen Montag gab, die zwei Tage früher ausgestellt worden war.

Als ich nach der Wende diesen Vermerk in meinen Gerichtsakten fand und Herrn Gysis Sohn von diesem Fund unterrichtete, fand Herr Gysi die Sache so wichtig, daß er mich morgens um fünf Uhr zurückrief, um Einzelheiten zu erfahren. Während dieses Telefonates habe ich ihn übrigens erstmals aufgefordert, die Sache aufzuklären.

Herr Gysi hat bezeichnenderweise einen Umstand bei der ausführlichen Schilderung der Ereignisse unerwähnt gelassen. Als am Morgen klar war, daß ich ausreisen würde, schrieb ich einen Brief an meinen ältesten Sohn, damals 16, der sich außerhalb von Berlin befand. Herr Gysi versprach mir in die Hand, sofort zu meinem Sohn zu fahren, ihm den Brief zu geben und ihn von meiner Ausreise zu unterrichten. Ihm sei klar, wie wichtig es wäre, daß mein Sohn nicht aus den Medien erfahren dürfte, was geschehen war. Schließlich sei er selber Vater. Tatsächlich beförderte Herr Gysi den Brief mit der Post. Mein Sohn bekam ihn erst zwei Tage später. So sah „rein menschlich“ die Hilfe aus, die Herr Gysi uns zuteil werden ließ.

Ähnlich hilfreich engagiert war er in der Sache der Ossietzky- Schüler.

Vier Wochen blieb der Fall in der Öffentlichkeit unbekannt. In der Zeit wurden trotz Einspruches namhafter Persönlichkeiten, die alle ihre Hilfe davon abhängig gemacht hatten, daß der Fall nicht an die Presse kommt, die Schüler relegiert und wurde klargemacht, daß sie keine Chance mehr auf Bildung bekommen sollten. Erst als alle Verhandlungen gescheitert waren, begannen die Solidaritätsgottesdienste.

Niemand hat von Herrn Gysi verlangt, daß er „politische Spektakel“ organisieren soll. Aber er hat im Verein mit Herrn Stolpe versucht, diese Solidaritätsgottesdienste mit der Lüge, mein Sohn wünsche solche Veranstaltungen nicht, zu unterbinden. Dieses Mal gibt es dafür Beweise, und ein anderer Beweis ist vor kurzem in der Akte eines Freundes von mir aufgetaucht. Es gibt eine Tonbandabschrift, Quelle IM Notar, entgegengenommen von Herrn Lohr am 25.4.1994.

Dieses Dokument betrifft mein Berufsverbot, von dem Herr Gysi behauptet, ich hätte seine Rolle dabei falsch dargestellt. Dieses Blatt aber bestätigt im dürren IM- Deutsch folgenden Sachverhalt:

Wegen meines Engagements in der Unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung, wie wir uns damals nannten, flog ich aus der SED, und am nächsten Tag bekam ich Hausverbot in dem Verlag, in dem ich arbeitete. Der Verlag versuchte mir fristgemäß wegen Nichteignung zu kündigen. Das war nicht ganz so einfach, und das Verfahren zog sich hin. Inzwischen war ich mit meinem dritten Kind schwanger, als sich der Druck auf mich verstärkte. Ich sollte einwilligen, einen Arbeitsvertrag als Hilfskraft in einer Fernsehreparaturannahmestelle zu unterschreiben.

In dieser Situation suchte ich bei Herrn Gysi juristischen Rat und Beistand. Herr Gysi gab mir, sicher aus „rein menschlichen Überlegungen“, zu bedenken, daß ich selbst entscheiden müßte, ob ich diesen Vertrag unterzeichne oder nicht. Schließlich wäre es als Mutter von bald drei Kindern besser, einen solchen Job als gar keinen zu haben.

Aus dieser unerträglichen Situation befreit hat mich ein unbekannter Arzt der damaligen Schwangerenberatungsstelle in Berlin-Pankow. Bei der monatlichen Routineuntersuchung fiel ihm meine jämmerliche körperliche und nervliche Verfassung auf. Besorgt erkundigte er sich, was ich für Probleme hätte, mein Zustand wäre nicht gut für mein werdendes Kind. Ich erzählte ihm daraufhin die ganze Geschichte, er griff zum Telefonhörer, rief meinen Verlagsleiter an und teilte ihm mit, daß er als mein behandelnder Arzt den Verlag verklagen würde, wenn sie nicht sofort aufhören würden, Druck auf mich auszuüben. Ob sie nicht wüßten, daß schwangere Frauen unter Kündigungsschutz stünden. Hier hat ein namenloser Arzt getan, was Herr Gysi, der sich als Anwalt der Opposition geriert, unterlassen hat.

All diese Dinge hätten längst geklärt und besprochen sein können, wenn sich Herr Gysi nicht jedem Gespräch entziehen würde. Seine Attacke in der taz ist ein erneuter Beweis, daß Herr Gysi diesem Gespräch ausweichen will.

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