: Die erste Grüne mit Bundesstander
■ Antje Vollmer Vizepräsidentin des Bundestags / Stefan Heym mahnt „große Koalition der Vernunft“ an
Berlin (taz) – „Die Fraktion der CDU/ CSU unterstützt den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne.“ Einen Augenblick stutzte das Plenum, dann rauschte der Beifall. Mit dem Satz des parlamentarischen Geschäftsführers der Union, Jürgen Rüttgers, war klar, daß künftig jede Fraktion des Bundestages Anspruch auf einen Vizepräsidenten haben wird und die CDU/ CSU erstmals in einer wichtigen Frage mit den Grünen stimmte. Die Wahl Antje Vollmers zur Vizepräsidentin des 13. Deutschen Bundestags war gesichert.
Damit war der Höhepunkt der gestrigen konstituierenden Sitzung im Berliner Reichstagsgebäude aber auch schon erreicht. Der zuvor heftig umstrittene Auftritt des Alterspräsidenten Stefan Heym, der auf der Liste der PDS kandidiert hatte, blieb weit hinter den Erwartungen auf einen spektakulären Auftritt zurück. Seine stark an sozialdemokratische Traditionen angelehnten Ermahnungen stießen bei seinen Kollegen aus den anderen Parteien vor allem an jenen Stellen auf Widerspruch, an denen er die Errungenschaften der DDR lobte: den gesicherten Arbeitsplatz, das bezahlbare Dach über dem Kopf, die Abwesenheit der Ellenbogenmentalität.
Die Absprache der CDU/CSU-Abgeordneten, die Rede des Schriftstellers mit versteinerten Mienen über sich ergehen zu lassen, wurde nur einmal durchbrochen. Als Heym lobend an Willy Brandt erinnerte, ließ sich Rita Süssmuth zu einer spontanen Beifallskundgebung hinreißen. Kohl und Schäuble bedachten sie dafür mit vernichtenden Blicken. Im Anschluß an die Heym-Rede wurde sie mit großer Mehrheit (555 von 669 Stimmen) als Bundestagspräsidentin wiedergewählt.
Der Streit um ihre StellvertreterInnen wurde nach ihrer Wahl über die Geschäftsordnungsdebatte entschieden. Nachdem die Union den Antrag der Bündnisgrünen unterstützt hatte, künftig jeder Fraktion einen Sitz im Präsidium des Bundestages einzuräumen, setzte sie mit den Stimmen der FDP und bei Enthaltung der Bündnisgrünen durch, daß die Zahl der VizepräsidentInnen bei vier bleibt. Die SPD hatte eine Erhöhung auf fünf gefordert. Damit blieben die SozialdemokratInnen allein auf weiter Flur und dürfen sich, wie schon nach der Wahl des Bundespräsidenten, ihrem Groll hingeben. „Der Zynismus der Macht“, kommentierte Karsten Voigt, habe nun auch bei den Grünen Platz gegriffen, die sich „nicht mehr scheuten, mit den Schwarzen gemeinsame Sache zu machen“. Werner Schulz wies dagegen den von der SPD so genannten „Schäuble-Fischer-Vertrag“ als Legendenbildung der Verlierer zurück. Die SPD habe sich gegen eine einvernehmliche Lösung gesträubt. Bei der anschließenden Wahl der VizepräsidentInnen war sich die SPD dann nicht zu schade, ihre zweite Kandidatin, Anke Fuchs, erst gegen Antje Vollmer (Bündnisgrüne) und dann noch gegen Burkhard Hirsch (FDP) antreten und verlieren zu lassen. Gewählt wurden schließlich für die CDU/CSU Hans Klein (515 Stimmen), für die SPD Hans-Ulrich Klose (591), für Bündnis 90/Grüne Antje Vollmer (358) und für die FDP Burkhard Hirsch (394). Die PDS blieb, da sie nicht auf Fraktionsstärke kommt, weiter vor der Tür.
Jürgen Gottschlich Seiten 3 und 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen