Manch Merkwürdigkeiten im Fall Peter Mecklenburg

■ Eine angeblich „seriöse Quelle“ wird nicht offengelegt, dafür sucht die Kripo erstaunlich hartnäckig nach weiteren Zeugen

Der jetzt der taz bekannt gewordene Versuch, einen Hotelbesitzer zu Falschaussagen zu nötigen (siehe S. 33), ist nicht die einzige Merkwürdigkeit im „Fall Mecklenburg“. Bermerkenswert ist darüber hinaus, mit welcher Hartnäckigkeit die Hamburger Kripo gegen den GAL-Fraktionsreferenten ermittelt – obwohl es um etwas geht, das seit Mai diesen Jahres nicht mehr strafbar ist: homosexuelle Kontakte mit 16- bis 18jährigen.

Die verworrene Affäre begann vor über einem Jahr mit einer „Einspruch“-Sendung, in der Peter Mecklenburg als Gast die Politik der Hamburger Jugendbehörde verteidigte, die unter anderem akzeptierende Sozialarbeit mit Kids aus dem Stricher-Milieu betreibt. Gegen Ende der Diskussion wurde Mecklenburg von dem ebenfalls anwesenden Strichjungen „Pico“ überraschend mit dem Vorwurf konfrontiert, er selbst sei einer seiner Freier gewesen. Moderator Ulrich Meyer berief sich auf eine „seriöse Quelle“, bei der noch während der Live-Sendung diese Beschuldigungen „gegengecheckt“ worden seien.

Ist ein Behörden-Mitarbeiter der ominöse SAT 1-Informant?

In dem von Mecklenburg angestrengten Zivilprozeß gegen SAT 1 grenzt die Anwältin des Senders, Gisela Wild, diese ominöse „Quelle“ ein. Die Recherche noch während der Sendung sei rasch möglich gewesen, weil „staatliche Stellen wie die Jugendbehörde, die Polizei, die Innenbehörde, Psychologen und Sozialarbeiter“ die Sendung live verfolgten und telefonisch erreichbar waren. Würde man die Berufsrolle des Informanten nennen, würde dies zu dessen Identifizierung führen, bezeugt auch „Einspruch“-Chef Alexander Schuller, der von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht.

Um also dieser ominösen Person die Enttarnung zu ersparen, bemüht sich der Sender, auf anderem Weg Mecklenburgs „Schuld“ nachzuweisen. Auch die Kripo engagiert sich überdurchschnittlich.

„Pico“, alias Mirko W., fiel als Belastungszeuge jedoch bald aus. Bei der polizeilichen Vernehmung Ende Januar bestritt er, je sexuellem Kontakt mit Mecklenburg gehabt zu haben. Er habe den GAL-Referenten nur belastet, weil er Geld von dem ebenfalls in der Sendung aufgetretenen „Crash-Kid-Papa“-Helmut Behnel bekommen habe. Dieser habe ihn auch mit Drogen versorgt und vor der Sendung geschlagen.

Zu einer richterlichen Vernehmung von „Pico“ kam es nicht, er starb im Frühjahr an einer Überdosis. Aber auch ohne diesen traurigen Umstand wäre seine urspüngliche Anschuldigung kein Fall für die Justiz. Sex mit 17jährigen ist keine Straftat mehr. „Altfälle“ werden nach neuem Gesetz behandelt. Trotzdem sind die Ermittlungen gegen Mecklenburg nicht abgeschlossen. „Es wird noch ein Zeuge gesucht“, sagt Staatsanwaltsschafts-Sprecher Rüdiger Bagger.

Derweil macht SAT 1 mit der Akte Politik. Sie enthalte „soviel unappetitliche Details“, daß sie diese dem Gericht ersparen wolle, sagte Anwältin Wild vor der Pressekammer des Zivilgerichts am 14. Oktober. Und auch „Einspruch“-Chef Alexander Schuller streut Andeutungen, daß es besser wäre für Mecklenburg, sich auf außergerichtlichem Weg zu arrangieren. Auch bot er der taz an, Fotos mit Beweisen zu schicken, machte aber einen Rückzieher, als diese tatsächlich angefordert wurden.

Was ist tatsächlich dran an der „unappetitlichen“ Akte? Von den vier jugendlichen Zeugen, die die Kripo dort aufführt, haben neben „Pico“ zwei weitere ihre Aussage zurückgenommen, ein anderer ist nie zur Vernehmung erschienen. Es handelt sich um den inzwischen 18jährigen Mirko H., dessen Aussage der selbsternannte Betreuer der Bahnhofs-Kids, Helmut Behnel, aufnahm, sie auf seiner Schreibmaschine tippte und in den Tagen nach der „Einspruch“-Sendung wie ein Flugblatt verteilte.

Drei Zeugen widerriefen ihre Aussage,ein vierter ist weg

Die Bild machte aus Mirko „Ronny“ und druckte die Story. Auch Behnels Strafanzeige gegen Mecklenburg bei der Staatsanwaltschaft stützte sich nur auf dieses Script. Aber Mirko H. ward nicht mehr gesehen. Der ermittelnde Kripo-Beamte Peter König betrieb einen beträchtlichen Aufwand, um den inzwischen 18jährigen aufzutreiben, begab sich mehrmals persönlich ins „Kids“ am Hauptbahnhof und ließ sogar bundesweit nach dem Jungen fahnden – bislang vergeblich.

Die Aussage des Zeugen Karl-Peter N. drohte gar die Kripo zu blamieren. Er verstehe nicht, warum er nochmal geladen würde, sagte dieser bei seiner richterlichen Vernehmung im März. Habe er doch direkt nach der Sendung beim Jugendkommissariat verneint, sexuellen Kontakte zu Mecklenburg gehabt zu haben. Außerdem sei ihm Merkwürdiges aufgefallen, so der Zeuge weiter, als sein Freund „Pico“ zur Vernehmung geholt wurde. Damals sei am Hauptbahnhof ein weißer VW-Bus der Kripo vorgefahren, dem außer ihm bekannten Beamten auch Helmut Behnel entstiegen sei. Die Jugendkripo bestreitet eine solche Kooperation mit dem selbst des Mißbrauchs an Jugendlichen angeklagten Behnel.

Der vierte Zeuge wurde durch eine Lehrerin der Schülerhilfe Harburg an die Kripo vermittelt. Sie hatte Zeitungsausschnitte zum Thema „Mecklenburg“ in den Unterricht mitgebracht. Da habe er seinen Freier erkannt, berichtete der gerade 16jährige Schüler B. bei der Kripo, die es allerdings versäumte, dem Jungen ein aktuelles Foto zu zeigen. Dies geschah drei Monate später bei der richterlichen Vernehmung – da nahm der Junge die Aussage zurück. Er habe einen Freier gehabt, der Mecklenburg auf dem Zeitungsfoto ähnlich gewesen sei.

Die Pädagogin jedoch will es dabei nicht bewenden lassen. Sie steht Sat 1-Anwältin Gisela Wild in dem Zivilprozeß als Zeugin zur Verfügung, wenn es gilt, „szenespezifische“ Gründe für die Rücknahme von Zeugenaussagen zu erläutern. Auch wird sie von Wild als Zeugin dafür angeführt, daß B. „über viel Geld und neue Klamotten“ verfügte, nachdem er seine Aussage zurückgezogen hatte. Fazit von Wild: „Der Verdacht ist mithin nicht ausgeräumt“.

Insgesamt also eine recht dürftige Beweislage. Aber es gibt noch einen fünften Zeugen: André K., heute 22 Jahre alt, der zur Zeit seiner Vernehmung in der Justizvollzugsanstalt I saß. Er belastete Mecklenburg gleich doppelt: So will er dabei gewesen sein, als der GAL-Referent in seinem Auto einen Jugendlichen 200 Mark anbot, damit dieser eine Aussage, die er in einem Bild-Interview gemacht hatte, zurücknehme. Außerdem soll Mecklenburg mit ihm selbst sexuelle Handlungen vollzogen haben, als er „Ende 15/ Anfang 16“ war. Interessantes Detail: André K. sagte bei seiner Vernehmung auch aus, daß er bereits von einem „Einspruch“-Moderator im Gefängnis besucht worden sei.

Kaija Kutter