piwik no script img

Die Zeugin der Anklage

■ Seit fünf Jahren will in Hamburg zum ersten Mal eine thailändische Porostituierte gegen ihren Zuhälter aussagen Von Sannah Koch

Etliche Male hat sie überlegt, ob sie ihre Aussage vor Gericht zurückziehen soll. Die 25jährige Thailänderin Malee (Name geändert) hat Angst, denn ihre Zeugenaussage in dieser Woche könnte für Dragomir J. mehrere Jahre Gefängnis bedeuten. Auf dem Hamburger Kiez gilt der angeblich als skrupellos. Jetzt ist der Barbesitzer des schweren Menschenhandels und der Förderung der Prostitution angeklagt – seit fünf Jahren ist es das erste Mal, daß sich in Hamburg eine thailändische Prostituierte traut, gegen ihren Zuhälter auszusagen.

Im vergangenen Herbst hatte die junge Frau sich ein Herz gefaßt: Alles war in der Hansestadt anders verlaufen, als sie es sich noch wenige Monate zuvor in Thailand erträumt hatte. Zumindest anders verlaufen, als Dragomir J. ihr in der Heimat versprochen hatte. Von 2600 Festgehalt plus 2000 Mark durch Getränkeumsatz im Monat, und all dies, ohne mit den Kunden des Pattaya Beach Club auf der Großen Freiheit aufs Zimmer gehen zu müssen, war da noch die Rede gewesen. Dieses Geld verdiene sie mit Animieren und Tanz, so habe Dragomir ihr gesagt, und auf die Frage nach weiteren Diensten habe er geantwortet: „Das bleibt Dir überlassen.“

Mit dem dafür üblichen Künstlervisum war Malee im Juli 1993 eingereist, die von ihr erwartete Tätigkeit aber war weder künstlerisch noch so gut bezahlt wie versprochen. 70 Mark Festgeld am Tag bekam sie, und von den 300 Mark, die ein Freier für eine Stunde Sex mit ihr am Tresen zahlte, erhielt Malee lediglich 120 Mark. Zudem wurden ihr monatlich 350 Mark Miete sowie 500 Mark Vertragsgebühr und 500 Mark Steuern berechnet.

Die Situation verschärfte sich noch, als Malee nach wenigen Wochen einen deutschen Freund fand. Daraufhin brach der Barbesitzer in ihr Zimmer ein und verbot ihr, den Raum außerhalb ihrer Arbeitszeit zu verlassen. Zur Sicherheit stellte er einen Aufpasser vor die Tür. Wie man Frauen einschüchtert, hat Dragomir J. in den zehn Jahren, in denen er sein Geld in drei Clubs mit Frauenkörpern macht, gelernt. Ihn anzuzeigen, das hat sich bislang aber keine getraut.

Das Blatt wendete sich am 10. September 1993: An diesem Tag erschien Malee mit einer Landsfrau und Kollegin im Büro von Amnesty for Women. „Sie waren sehr aufgebracht, wollten den Barbesitzer im Gefängnis sehen und wieder nach Thailand zurücckehren“, erinnert sich Projektmitarbeiterin Katja H. Das Geld für ihren Rückflug konnte Amnesty durch einen Spendenaufruf zusammenbringen, im Landeskriminalamt, Abteilung Milieukriminalität (LKA 242), versprach man den Frauen, sie im Falle einer Aussage ins Zeugenschutzprogramm aufzunehmen und ihren Peiniger so schnell wie möglich in Untersuchungshaft zu bringen.

Acht Tage, nachdem die beiden beim LKA und vor dem Richter ihre Aussage gemacht hatten, führte die Polizei im Pattaya Beach Club eine Razzia durch und verhaftete Dragomir; die Frauen wurden bis zu ihrer Heimreise in geschützten Wohnungen untergebracht.

Dann läuft es jedoch nicht mehr absprachegemäß: Drei Monate nach seiner Verhaftung wird Dragomir gegen Kaution freigelassen. Diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft löste, so bestätigte am Freitag ein Beamter der taz, im LKA 242 Ungläubigkeit aus. Zunächst mußte Dragomir J. zwar seinen Reisepaß abgeben und erhielt Meldeauflagen, einige Monate später war er aber wieder im Besitz des Papiers (LKA: „Ungewöhnliches Verfahren“), mit dem er inzwischen mehrmals nach Bangkok reiste.

Inzwischen leben Malee und die andere Zeugin wieder in Hamburg, beide sind mit deutschen Männern verheiratet. Obwohl Malee den Gerichtstermin immer noch fürchtet – mehr noch, seitdem sie von Dragomir J. beim Einkaufen wiedererkannt worden ist -, weiß sie, daß ihre einzige Chance auf einige ruhige Jahre dieser gefürchtete Auftritt am kommenden Donnerstag im Strafjustizgebäude ist. Sollte das Gericht den vermeintlichen Menschenhändler für schuldig befinden, könnte das für diesen zwischen einem und zehn Jahre Knast bedeuten. Wenn nicht, jahrelange Angst für Malee. Und für die rund 1000 weiteren thailändischen Prostituierten in Hamburg die Bestätigung, daß es besser ist, weiter über ihre Peiniger zu schweigen.

Prozeßbeginn: Heute 9 Uhr, Saal 209 im Strafjustizgebäude, Sievekingplatz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen