: Die toten Hunde wollen ewig leben
Der deutsche Eishockey-Meister Maddogs München zeigt beim heimischen Europacup-Halbfinale im ökonomischen Endstadium künstlicher Beatmung weiter beachtliche sportliche Virilität ■ Aus München Markus Götting
Eine gewaltige Karosserielawine quälte sich über den Mittleren Ring. Wie ein blecherner Lindwurm, Stoßstange an Stoßstange, reihten sich Reisebus an Reisebus, Pkw an Pkw. Heraus stiegen fröhliche Menschen, die sangen und Bier tranken und ihre blau-weißen Schals schwenkten. Zu Zigtausenden waren sie gekommen, zum Münchner Olympiagelände, wo am Wochenende des Halbfinale im Eishockey-Europacup ausgespielt wurde. Mit dabei waren die heimischen Maddogs, doch wer fehlte? Die vielen tausend Blau- Weiß-Gewandeten. Das waren nämlich Schalker Fußballfans, und die zog es zum Bundesliga-Kick ins Olympiastadion.
In der Olympiahalle, gleich daneben, verloren sich 800 Unentwegte im eisigen Oval. Seltsam. Besitzt Europas Eishockey-Elite tatsächlich weniger Attraktivität als die Füchse Sachsen oder die Ratinger Löwen? Könnten Münchens Schlagschußfreunde nicht wenigstens ein bißchen Dankbarkeit gegenüber Europacup-Sponsor Cesar W. Lüthi zeigen? Immerhin beschenkt der Kreuzlinger Sportrechtemakler den Sieger des Vier-Mannschaften-Turniers mit 70.000 Mark – das ist zwar nicht annähernd vergleichbar mit der Champions League, bedeutet für den deutschen Meister Maddogs aber zumindest die Möglichkeit, seinen Angestellten ihr wohlverdientes Gehalt auszuzahlen.
Aber gerade die Finanzmisere (die Minuskulisse beim Europacup ging zu Lasten der veranstaltenden Olympiapark-Gesellschaft) macht die derzeitigen Spiele spannend, immerhin könnte es durchaus sein, daß man den ein oder anderen verrückten Hund zum letzten Mal im blau-weißen Trikot erlebt. Wie etwa Gordon Sherven, den Kopf der Mannschaft, der am Samstag beim 4:3 Sieg über die Milan Hockey Devils in der Aufstellung allseits vermißt wurde. Krank sei er, ließ Andreas Kneißl, Maddogs- Wirtschaftsbeirat und Übergangspräsident des EC Hedos wissen. Die Berliner Preussen hätten sich seine Dienste gesichert, spekulierten dagegen Münchens umtriebige Boulevardreporter. Was Preussen- Präsident Hertmann Windler allerdings energisch dementierte.
„Gordon Sherven ist nach wie vor ein Maddog und er wird ein Maddog bleiben. Ich wollte ihn nur schonen“, sagte nach dem Spiel sein Übungsleiter Robert Murdoch. Bewundernswert dessen Optimismus, erstaunlich solcherlei definitive Aussagen, obwohl sich doch die Zukunft des Münchner Eishockeys erst im Laufe dieser Woche entscheiden wird. Bereits seit letzten Donnerstag wird eine GmbH-Neugründung mit kapitalkräftigen Anlegern diskutiert. Namen werden freilich noch nicht genannt. Den Spielern sei es nicht zu verübeln, so Murdoch, daß sie sich nach anderen Vereinen umschauen. Wie Dieter Hegen, der jetzt wieder an der Düsseldorfer Brehmstraße dem Puck nachjagt.
Es geht schließlich auch ein bißchen ums Geldverdienen, und das ist bei den verrückten Hunden, wo monatliche Gehaltszahlungen in der Presse als Sensation gefeiert werden, keine Selbstverständlichkeit. Nicht jeder besitzt das genügsame Gemüt des Robert Murdoch, der mit seiner Familie in die bayerische Hauptstadt zog, um „eine andere Kultur zu erleben“, seine bisherigen vier Monate einfach „wonderful“ findet und nur einen großen Nachteil ausgemacht hat: „Wir werden nicht bezahlt.“ Seine Loyalität stellt dies allerdings nicht in Frage, obwohl der Erfolgsmensch (1990 bester Trainer der NHL) etliche Angebote aus der Deutschen Eishockey-Liga DEL besitzt.
Wie bei einer Achterbahnfahrt komme er sich vor, beschreibt der Kanadier die Situation, „mal sind wir tot, mal leben wir wieder“. Momentan befindet man sich wohl eher im Stadium künstlicher Beatmung. Nie zuvor hat Murdoch in der Umkleidekabine mit seinen ihm Anvertrauten so wenig über Eishockey und soviel über Geld reden müssen. Aber auch diese Erfahrungen beurteilt der eloquent- charmante Coach als positive: „Die Spieler geben ihr bestes, sie sind erfolgreich und ambitioniert.“
In der Tat ist es schon erstaunlich, daß die Mannschaft trotz der katastrophalen Umstände nach wie vor Höchstleistungen bringt, in der DEL weiterhin an der Spitze mitmischt. „Let's do our job“, habe er seine Eleven gebeten, sagt Murdoch, der alles unternimmt, auf daß sich das schlägerschwingende Personal aufs Eishockey konzentrieren möge. Die Kufencracks tragen ihren Teil schon aus Eigeninteresse bei. Mit guten Spielen können sie sich bei Konkurrenzklubs empfehlen. Mit der Aussicht, für ihre Arbeit entlohnt zu werden. Bayerische Biertischkultur allein macht eben auch nicht froh.
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