piwik no script img

Dreieinhalbmal genial oder so

Die einen wollten nicht, die anderen konnten nicht: Bundesliga-Alltag beim 0:0 zwischen Leverkusen und dem Karlsruher SC  ■ Aus Leverkusen Katrin Weber-Klüver

Natürlich war schon vorher klar, was bei dieser Partie herauskommen müßte, rein statistisch betrachtet und nüchtern prognostiziert jedenfalls: Der Karlsruher SC hatte seit September auswärts kein Tor mehr geschossen, Bayer 04 Leverkusen zuhause erst zweimal gewonnen und schon fünf Punkte verloren. Was sollte da am 13. Spieltag also schon anderes herauskommen als ein 0:0 – und zwar eines, das alles hält, was dieses doppelte Nichts verspricht.

Tatsächlich benahmen sich auch alle Akteure so, als müßten sie den Vorgaben zur Untätigkeit zwanghaft exakt Genüge tun. Phantasiebegabtes oder wenigstens ungestümes Bemühen um das Durchbrechen der traurigen Bilanzen jedenfalls kann keinem der Akteure attestiert werden. Nun gut, man spielt um internationale Plätze und viel Geld, ist also nicht so schnell zu wagemutigen Husarenritten aufgelegt in diesen Mittelfeldregionen der Liga. Aber etwas mehr Finesse, Präzision und Witz dürfte es beim Aufeinandertreffen zweier UEFA-Cup-Aspiranten wohl doch sein.

Was in dieser Saison das Führungsduo Dortmund und Bremen darbietet, wird mitunter despektierlich Rasenschach genannt. Das ist sehr, sehr kritisch gemeint, weil es durch und durch kontrolliertes, planvoll emotionsloses Agieren bedeutet. Der Vorteil dieser oft auch nicht gerade schön anzusehenden Taktik ist allerdings, daß sie den begabteren unter den Spielern doch immerhin ab und zu geniale Spielzüge gestattet.

Ja, es muß schön gewesen sein an diesem Sonnabend nachmittag in Bremen, wo die legendäre „kontrollierte Offensive“ Rehhagels ein prachtvolles 4:0 erspielte und ein atemberaubender Mario Basler sich dabei offensichtlich vor Vergnügen kaum noch halten konnte. Gar nicht schön, aber zumindest eindrucksvoll, wie am Abend zuvor der Tabellenführer Dortmund mit minimalistischer Perfektion seinen Pflichttermin in Bochum mit doppeltem Tor- und Punkteerfolg absolvierte.

Was war dem aus Leverkusen entgegenzustellen? Vergnügen? Lust? Perfektion? Pah! Irgendwann vertat Kirsten eine Chance und Scholz hatte eine andere für die Gastgeber und der KSC wohl auch noch eine, oder auch die eine oder andere. Und, der Statistik sei die Ehre erwiesen, Bernd Schuster ließ in seinem 100. Bundesligaspiel (Stadionsprecher: „Wir alle lieben dich, ein dreifaches Hipphipphurra!“) dreieinhalbmal ahnen, daß er ja eigentlich einer der Genialsten sein kann. Aber sonst! Sonst war, was sich in Leverkusen abspielte, schlichteste Rasenmühle, ein schwerfälliges Ball-und-Spieler-hin-und-her-Geschiebe zu derben Bloß-nicht-die-Übersicht-verlieren-Taktiken. Nein, nicht eine einzige spannende Spielidee erhellte den 23.000 Zuschauern im Ulrich-Haberland-Stadion den grauen Nachmittag. Frühzeitig werden sie geahnt haben, daß sie die langweiligste Begegnung des Tages beobachteten.

Oder, war da noch etwas zu loben? Gemach, sagt an dieser Stelle Dragoslav Stepanovic und erklärt: „Ich freue mich mehr über diesen Punktgewinn, als ich mich in der kommenden Saison über drei Punkte freuen werde.“ Die soll es dann nämlich für einen Sieg geben. Und außerdem ist es gar nicht so, daß seine Werkself zum Vergnügen der Tribünengäste antritt, sondern ... nun wie soll man sagen? Ach, soll der Leverkusener Fußballehrer es doch selbst erklären: „Es gibt keine defensive und offensive Mannschaft, es gibt nur eine Mannschaft, die Probleme lösen kann und ihr Ziel erreicht.“ Das gestellte Problem war rein organisatorisch, da Leverkusen frühzeitig – nach einem rot geahndeten Touché von Markus Münch an – wem wohl? – Sergei Kirjakow – mit einem Spielstein weniger agieren mußte. Im echten Mühlespiel kann das schnell in die Niederlage führen. Das taktische Ziel der Bayer- Zehn mußte folglich lauten: Alles, aber auch wirklich alles verhindern. „Jeder hat den Catenaccio gesehen, den wir spielen mußten“, bekräftigte Stepanovic. Er wirkte dabei kein bißchen zerknirscht. Vielmehr war er noch stolz, daß die seinen die anderen aus Karlsruhe in Schach gehalten hätten.

Freilich aber ist es genau genommen keine Pflicht, daß eine Mannschaft, auch eine 70 Minuten vor dem Spielschluß dezimierte, fortan nur noch hofft, das Spiel möge bald und ohne weitere Vorkommnisse vorbei sein. Überliefert ist zudem, daß manche Truppe zu zehnt erst richtig in Schwung kommt und – befreit vom taktischen Plan – sich in – darf man's sagen? – Begeisterung steigert und riskante Offensive wagt.

Andererseits: Es gibt auch Gegner, die mit ihrem Überzahlspiel mehr anzufangen wissen als die mediokren Karlsruher. Was auch Bernd Schuster erstaunte: „Es ist zum Heulen, daß ein Team wie der KSC selbst mit Elf gegen Zehn nur auf ein 0:0 spielt. Das hat kein Niveau.“ Winfried Schäfer hingegen war anderer Meinung und gar „am Ende froh über das 0:0“. Nur einen Hauch von Kritik fand er angebracht: „Die Ruhe, in Überzahl den besseren Mann suchen“, sei seinen Männern abgegangen, „da müssen wir noch hinkommen.“

Fazit: Was kann das Armselige eines Bundesligaspiels niederschmetternder belegen als der Kommentar der Alles-ist-so- schön-bunt-hier-Analytiker vom Exklusiv-Sender Sat.1: „Öde.“

Karlsruher SC: Reitmaier - Nowotny - Bilic, Dirk Schuster - Lars Schmidt, Reich, Häßler, Bender (71. Edgar Schmitt), Bonan, Tarnat (89. Wittwer) - Kirjakow

Zuschauer: 23.000

Rote Karte: Münch (18.) wegen Notbremse gegen Kirjakow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen