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■ Die Weltmächte und das WaffenembargoHalbherzige Maßnahme

Noch vor wenigen Monaten herrschte sowohl in den internationalen Institutionen wie auch in der Weltpresse ein relativ breiter Konsens darüber, daß nach einem Scheitern des Friedens- beziehungsweise Teilungsplanes der Kontaktgruppe – die aus den USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland besteht – die Aufhebung des Waffenembargos gegenüber Bosnien-Herzegowina unausweichlich sei. Selbst der britische Außenminister Hurd hatte noch im Juli die Bereitschaft seiner Regierung unterstrichen, die Opposition gegen die Aufhebung des Waffenembargos aufzugeben, wenn die serbische Seite die Unterschrift unter den Plan verweigere, den die bosniakisch-kroatische Seite zu diesem Zeitpunkt schon geleistet hatte. Seit dem 15. Oktober, dem Stichtag für die Unterschrift, sind diese Worte wieder einmal Schall und Rauch.

Das Versprechen der russischen Diplomatie, Karadžić durch Druck aus Belgrad und Moskau zur Unterschrift zu bewegen, hat sich als leer erwiesen. Während die USA und Deutschland Kroatien zwingen konnten, den Krieg der westherzegowinischen Kroaten gegen die bosnischen Regierungstruppen zu beenden und sogar einer bosniakisch-kroatischen Föderation in Bosnien-Herzegowina zuzustimmen, reduzierte sich die russische Politik letztlich darauf, Karadžić Zeitgewinn zu verschaffen und das Ansehen des serbischen Präsidenten Milošević weltweit zu erhöhen.

Mit dieser Politik jedoch ist der Zusammenhalt der Kontaktgruppe gesprengt. Hatte die US- amerikanische Diplomatie noch zu Jahresbeginn gehofft, durch eine Zusammenarbeit mit Rußland den Krieg in Bosnien-Herzegowina beenden zu können, so kristallisieren sich jetzt erneut Gegensätze zwischen diesen beiden Mächten heraus. Daß es zu einer offenen Ost- West-Konfrontation noch nicht gekommen ist, ist vor allem dem Umstand geschuldet, daß Rußland mit der Unterstützung Großbritanniens und Frankreichs rechnen kann. Und da mit Griechenland und auch Spanien zwei weitere Staaten in der Europäischen Union der britisch-französisch-russischen Position näherstehen als der US-amerikanischen, sind die halbherzigen Versuche der deutschen Außenpolitik, das Ruder in der EU herumzureißen, wenig erfolgreich.

So liegt es nun an den USA, auf dem Balkan wieder die Initiative an sich zu reißen. Die Weigerung, weiterhin an der Überwachung des Waffenembargos gegenüber Bosnien-Herzegowina teilzunehmen, ist dazu ein erster, konkreter Schritt. Wer den amerikanischen Schritt als ein „Anheizen des Krieges“ interpretiert, übersieht, daß es der bisherigen Politik der UNO und der Staaten der Kontaktgruppe keineswegs gelungen ist, den Krieg zu beenden oder einen tragfähigen Waffenstillstand durchzusetzen.

Die Argumente für die Aufhebung des Waffenembargos sind sowohl in moralischer wie auch in völkerrechtlicher Hinsicht überzeugend. Erstens nämlich wird einem diplomatisch anerkannten Staat, der zugleich Mitglied der UNO ist, das in der UNO-Charta verbürgte Recht auf Selbstverteidigung verweigert. Zweitens handelt es sich keineswegs um einen „Bürgerkrieg“, wie so gern behauptet wird, sondern um von außen gesteuerte Aggressionen. Der Druck auf Kroatien war es nämlich, der zum Waffenstillstand zwischen der kroatischen HVO und der bosnischen Armee geführt hat, und nicht der Druck auf die herzegowinischen Kroaten allein. Ein ähnlich starker Druck auf Serbien ist dagegen bisher ausgeblieben. Der als Machtkampf zwischen Milošević und Karadžić apostrophierte Vorgang hat weder bei den politischen noch bei den militärischen Zielen der bosnisch-serbischen Führung Spuren hinterlassen. Weiterhin soll das von serbisch-bosnischen Truppen beherrschte Gebiet aus Bosnien- Herzegowina herausgebrochen und mit Restjugoslawien vereinigt werden – was allen völkerrechtlichen Konventionen zuwiderläuft. Die „ethnischen Säuberungen“ werden sogar fortgesetzt. Drittens führt die Ungleichheit an Waffen dazu, daß die waffentechnisch unterlegene Seite, die bosnisch-muslimische Bevölkerung, weiterhin einen großen Blutzoll zu entrichten hat. Und viertens hat die internationale Gemeinschaft das als Ersatz für die Aufhebung des Waffenembargos gegebene Versprechen, selbst den Schutz der Zivilbevölkerung in den UNO-Schutzzonen zu übernehmen, nur teilweise erfüllt.

Die Frage der Aufhebung des Waffenembargos zu diskutieren ist auf internationaler Ebene schon längst der Sphäre der sachlichen Diskussion entrückt. Gerade jetzt, nach dem Scheitern des Planes der Kontaktgruppe, werden die politischen und militärischen Interessengegensätze zwischen ihren Mitgliedern mehr als je zuvor sichtbar. Konnte bis zum 15. Oktober noch an der Fiktion eines gemeinsamen Vorgehens der Großmächte gegenüber allen Kriegsparteien festgehalten werden, so ist dieser Vorhang spätestens seit den Äußerungen des französischen Außenministers Juppé zu Beginn dieses Monats zerrissen worden. Sein Vorschlag nämlich, eine Konföderation zwischen dem von den serbisch-bosnischen Streitkräften kontrollierten Territorium in Bosnien mit Serbien zuzulassen, sanktioniert nicht nur die Eroberungs- und Vertreibungspolitik von Karadžić und Milošević, dieser Vorschlag zeigt in großer Offenheit die Parteinahme der französischen Regierung für die serbische Kriegspartei.

Die Ablehnung der Aufhebung des Waffenembargos gegenüber der bosniakisch-kroatischen Seite ist dann nur folgerichtig. Die gemeinsam mit der britischen und russischen Regierung ausgesprochene Drohung, bei einer Aufhebung des Waffenembargos die UNO-Truppen aus Bosnien zurückzuziehen, kann ebenfalls folgerichtig nur als Druckmittel an die Adresse der bosnischen Regierung und die der USA verstanden werden. Denn bei einem Rückzug der UNO-Truppen dieser drei Länder würde nicht nur die humanitäre Hilfe in Sarajeo, sondern auch das Leben der Menschen in den ostbosnischen Enklaven gefährdet werden.

Angesichts dieser Konstellation ist es allerdings fraglich, ob die Offensive, die die bosnischen Regierungstruppen am 15. Oktober starteten, ein kluger Schritt war. Es geht auch dabei nicht um die vollständige Rückeroberung Bosnien- Herzegowinas, sondern lediglich darum, das Territiorium, das im Plan der Kontaktgruppe der bosniakisch-kroatischen Föderation zugeschlagen wurde, auch wirklich zu kontrollieren. Daß diese Strategie angesichts der Unterlegenheit an Waffen große Risiken in sich birgt, ist nun in Bihać zu erfahren. Im Lichte dieses Zusammenhangs erscheint die US-Initiative, an der Überwachung des Waffenembargos nicht mehr teilzunehmen, sogar als ziemlich mäßig geratene Unterstützungsmaßnahme. Es ist nur zu hoffen, daß weitere konkrete Schritte folgen. Denn das Gleichgewicht der Kräfte ist angesichts der massiven Unterstützung für die serbische Seite durch andere Mächte keineswegs erreicht. Erich Rathfelder

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