piwik no script img

Keine Viren für Rußland

■ Duma verlangt Aids-Test von Touristen

Moskau (taz) – Die Volksgesundheit ist den Volksvertretern der russischen Duma selbstverständlich eine Herzensangelegenheit höchster Priorität. Am Freitag verabschiedeten sie daher ein Gesetz, das von Ausländern bei der Einreise einen obligatorischen Aids-Test verlangt. In seltener Einmütigkeit stimmten 281 Abgeordnete dafür, nur drei lehnten das Gesetz ab, während keiner wagte, sich in dieser Frage zu enthalten.

Das Gesetz muß jetzt noch das Oberhaus und Präsident Jelzin passieren. Die näheren Ausführungsbestimmungen übertrug die Legislative der Regierung. Aus gut informierten Quellen dort sickerte durch, man arbeite bereits daran, die Richtlinien abzuschwächen. Keiner kann sich vorstellen, wie die Aids-Kontrolle vor Ort realisiert werden soll. Wird man Ausländer ohne Reinheitsattest in die nächste Poliklinik schleppen, müssen Zöllner einen Schwesternhilfekursus absolvieren? Das etwas prekäre Verhältnis der russischen Bürokratie zur Arbeit mag man getrost als Gewähr nehmen, daß mehr gebellt als gebissen wird.

Allerdings tun sich Horrorvisionen auf, sollte das Gesetz den Status einer Kann-Bestimmung annehmen, somit die Auslegung den Grenztruppen obliegen. Unter ihrer Obhut dürfte sich der Virus sprunghaft verbreiten. Bisher sind in Rußland um die 780 HIV-Infizierte amtlich belegt.

Doch die fehlende Sensibilität der Parlamentarier gegenüber der Verletzung der Persönlichkeitsrechte ist keine Ausnahme. In der Prawda wurde schon im Juli die Zwangsvertestung der gesamten russischen Bevölkerung und die Internierung aller HIV-Infizierten gefordert. „Unsere Mentalität unterscheidet sich erheblich von der der Amerikaner“, meinte dazu der russische Aids-Forscher Andrej Koslow. khd

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen