: „Das Leben ist voller Widersprüche“
■ Zweite Runde im Spionageprozeß gegen Gerd Löffler / Der naive Top-Spion?
Der Spionageprozeß gegen den Hamburger Ex-CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Gerd Löffler ist am Dienstag mit der Vernehmung des Angeklagten fortgesetzt worden. Kernfrage der Erörterungen: Wann Löffler gemerkt habe, daß es sich bei seinen Gesprächspartnern in Ost-Berlin nicht um Geschäftsleute, sondern um Agenten der „Abteilung Aufklärung der Nationalen Volksarmee“ gehandelt habe.
Löffler bekräftigte seine Darstellung, daß die ersten Kontakte in Ost-Berlin wie ganz normale Geschäftsanbahnungsgespräche verlaufen seien. Man habe wissen wollen, zu welchen Leistungen und Lieferungen seine Firma „Systemtechnik“ in der Lage sei, so Löffler, mehr nicht: „So dumm und plump waren die Herren in der DDR auch nicht.“ Angesichts der EDV-Exporte von IBM und Siemens in den Ostblock habe er diese Materiallieferungen „für unproblematisch“ gehalten. Löffler: „Ich wurde erst stutzig, als Fragen immer mehr in die Richtung Elektronik und Meß- und Regeltechnik gingen.“
Selbst nachdem ihm Anfang 1977 klar geworden sei, daß es sich bei seinen Kontaktpartnern um Agenten gehandelt habe – taz berichtete –, er aber nicht mehr aussteigen konnte, da er sich „subjektiv“ erpreßt gefühlt habe, habe er nur allgemein zugängliche Materialen in den Osten geliefert. Löffler: „Ohne die Herren in Schutz nehmen zu wollen: Ich bin nicht erpreßt worden in dem Sinne: Lernen Sie mal beim Wehrbereichskommando 7 Herrn Müller kennen und spionieren ihn aus.“ Er habe zwar auf Wunsch Wehrtechnikseminare der Carl-Cranz-Gesellschaft in Hamburg besucht, zu hochkarätigen Veranstaltungen in Oberpfaffenhofen sei er jedoch nicht gefahren. Löffler: „Dazu bin ich nicht aufgefordert worden. Der Aufwand war mir auch viel zu hoch.“
Immer wieder unterbrachen der Vorsitzende der Staatsschutzkammer beim Hanseatischen Oberlandesgericht, Richter Albrecht Mentz, und die Bundesanwälte Löfflers Schilderungen und warfen ihm vor, „vieles im Nebel verschleiern“ zu wollen. So nehmen sie dem hochintelligenten Physiker nicht ab, 15 Jahre derart „naiv“ gehandelt zu haben: zum Beispiel einen falschen Paß zwar besessen, ihn aber nie genutzt haben zu wollen; eine Funkausbildung zwar bekommen, Agentenfunk aber nicht gehört zu haben, weil das Radio defekt war. Löfflers Anwalt Gerd Strate: „Das Leben ist voller Widersprüche.“
Für Löfflers Version spricht allerdings, daß er nach dem jetzigen Sachstand niemals Informationen aus der Politik oder der Hamburger CDU-Spitze weitergegeben hat. Und das wäre wohl für einen Top-Spion aus Überzeugung das mindeste gewesen. Der Prozeß wird heute mit der Vernehmung der Führungsoffiziere fortgesetzt.Kai von Appen
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