: Kunst zum Wohlfühlen?
■ Wegen einer lumpigen Summe wird die Galerie Franz Mehring geschlossen
Auf den Kreuzberger Maientagen gibt es eine Vergnügung, die sich besonderer Beliebtheit erfreut. Das Spiel heißt Woody Woodpecker und geht so: Man bekommt einen Vorschlaghammer in die Hand, mit dem man blitzschnell auf winzige Holzwürmer einschlagen muß, die aus der Theke vor einem auftauchen. Es ist nur ein Gerücht, daß sich Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder hier eine Anregung in Sachen Kulturpolitik geholt hat – obwohl einige Anzeichen dafür sprechen.
Die bevorstehende Schließung der kommunalen Galerie Franz Mehring ist so ein Fall. Ende des Jahres gehen in der Zweigstelle des Kunstamtes Kreuzberg am Mehringplatz unwiderruflich die Lichter aus. Zum Verhängnis wurde der Galerie, daß sie nach Ansicht der Bezirkspolitiker die Kosten- Nutzen-Rechnung nicht erfüllt hat. Was eine recht subjektive Einschätzung ist und ein hartes Urteil obendrein, kostet die Galerie doch lediglich 20.000 Mark Unterhalt pro Jahr. Nur geschenkt ist billiger.
Doch das scheint für Strieder und seinen mit einem Etat von 22 Millionen Mark ausgestatteten Volksbildungsstadtrat Dirk Jordan keine Rolle zu spielen. Er habe, bekannte Jordan unlängst auf einer Diskussionsveranstaltung, im vergangenen Jahr öfter Ausstellungen in der Galerie Franz Mehring besucht, und dabei seien ihm Zweifel an der Qualität der dort gezeigten Kunst gekommen. Schützenhilfe kam vom Chef persönlich: Strieder prüfte die „Aufenthaltsqualität“ der Galerie, wie er sagte, und zwar mit niederschmetterndem Ergebnis. Angesichts der notorischen Finanzflaute in der Bezirkskasse beschlossen die beiden, die 20.000 Mark Mietkosten einzusparen und die Galerie dichtzumachen.
Das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. „Aufenthaltsqualität“ mag ein im Bürokratendeutsch gebräuchlicher Ausdruck sein, die Hilflosigkeit dahinter ist jedoch bezeichnend. Wie wohl man sich fühlt, ist doch kein Kriterium für die Beurteilung von Kunstausstellungen!
In Fachkreisen ist die Qualität der Kunst, die in der Galerie Franz Mehring präsentiert wird, unumstritten. Vor allem seit ehrenamtliche Kuratoren die Galerie betreuen. In dieser Hinsicht ein Glücksgriff war die Verpflichtung des Künstlers Ulrich Baehr. Baehr, der in den sechziger Jahren die inzwischen legendäre Produzentengalerie Großgörschen 35 mitbegründete und heute als Professor an der Hochschule für Kunst und Design in Hannover lehrt, hat vor knapp einem Jahr die Regie am Mehringplatz übernommen und vielversprechende junge Künstlerinnen und Künstler in die Galerie geholt. Das besondere Augenmerk Baehrs galt Künstlerinnen, die es „bekanntlich immer noch ungleich schwerer haben“ als ihre männlichen Kollegen. Außerdem wurden Arbeiten von Malern, Bildhauern und Fotografen aus Ex-Jugoslawien gezeigt.
Beim Kunstamt Kreuzberg ist man natürlich und zu Recht erbost über die Entscheidung des Bezirks. Trotzdem: Auch dort müssen sich die Verantwortlichen an die eigene Nase fassen. Sie haben zuwenig getan, um die Schließung zu verhindern. Krista Tebbe, Leiterin des Kunstamtes, hat zwar Solidaritätsbekundungen erhalten. Für eine Unterschriftensammlung aber hatte sie keine Zeit, „zu zweit schafft man das einfach nicht“. Besonders dann nicht, wenn man es erst gar nicht versucht. Statt dessen gönnen sich Tebbe und ihr Geschäftsführer Stéphane Bauer ein wenig Ruhe. Die Belegschaft des Kunstamtes macht derzeit Urlaub. Ulrich Clewing
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen