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Denunzianten haben hier nichts verloren

■ Unendliche Geschichte einer Tyrannei: Mit Brandanschlägen und Psychoterror verfolgt die militante Kreuzberger Gruppe "Klasse gegen Klasse" Sibylle Schmidt, die ehemalige Freundin eines Szenehelden

Sie soll in ihrer Wohnung in SO 36, in der sie seit ihrer Geburt vor 31 Jahren lebt, nichts mehr verloren haben. So zumindest sieht es die militante Kreuzberger Truppe „Klasse gegen Klasse“: „solche miesen gestalten wie sibylle schmidt haben in dieser stadt nichts mehr zu suchen“, heißt es in einem der Schreiben. Es enthält die Adresse Sibylle Schmidts, gefolgt von einem zynischen Aufruf zur Vorsicht: „es ist aber darauf rücksicht zu nehmen, dass sie mit ihrem Kind zusammen wohnt.“ Die Freigabe zum Abschuß ist Teil eines Bekennerbriefs. „Klasse gegen Klasse“ bezichtigt sich, am 21. Oktober dieses Jahres Schmidts Fiat Tipo vor ihrer Haustür abgebrannt zu haben. „sibylle schmidt hat mitte 93 ihren ex-freund und diverse bekannte aus ihrer zeit als mitbetreiberin des ,blockshock‘ unter anderem der mitgliedschaft bei ,kgk‘ bezichtigt.“

Nach einer Serie von Drohbriefen an angebliche Yuppie-Läden in SO 36, Brandanschlägen auf Autos von Bezirkspolitikern, Handgranaten auf Restaurants und Rohrbomben gegen Stadtplaner geht „Klasse gegen Klasse“ auf eine Privatperson los, die einmal eng mit der linksradikalen Szene in Kreuzberg verstrickt war. Im Jahre 1985 startete die damals 22jährige Kulturmanagerin ihren ersten Künstlerclub – das „Blockshock 1“ in der Mariannenstraße, ein Club, der wegen seiner spektakulären Konzerte legendär wurde.

Als Folge dauerhafter Auseinandersetzungen mit den Behörden mußte „Blockshock 1“ 1987 an die Hasenheide umziehen. In den Jahren vor der Maueröffnung organisierte Schmidt außer Konzerten in ihrem Club – unter anderem der „Rainbirds“ und der „Toten Hosen“ – auch antifaschistische Festivals in Ost-Berlin. Geübt im Umschiffen von Bürokratie schmuggelte sie Bands aus USA, Italien und West-Berlin in die DDR. Den Behörden blieb sie ein Dorn im Auge: 1990 wurde auch „Blockshock 2“ geschlossen.

Im selben Jahr trennte sie sich von ihrem damaligen Freund – der Anfang einer Geschichte unendlicher Bedrohung und Tyrannei. Mehrere Jahre lang hatte Sibylle Schmidt mit einem der bekanntesten Kreuzberger Autonomen zusammengelebt. Manne W. war zum „Helden“ der Szene geworden, als er bei den Auseinandersetzungen um die Bebauung des Mariannenplatzes in der ersten Reihe stand. Wegen schwerer Körperverletzung eines Polizisten wurde er verurteilt. Andere haben ihn in weniger glorreicher Erinnerung und bezeichnen ihn als „kriminellen Schläger“ oder „amoklaufenden Desperado“. W. stand bereits in den späten achtziger Jahren im Verdacht, Autos und Keller unliebsamer Kiezbewohner abgefackelt zu haben. Manne W. ist auch der Vater von Lenin, Sibylle Schmidts heute sechsjährigem Sohn.

Als Manne W. Ende 1990 auszog, tat er sich mit Leuten zusammen, die Sibylle Schmidt als „durch und durch gewalttätig und kaputt im Kopf“ bezeichnet. Ihrer mehrfach öffentlich und auch vor der Polizei geäußerten Ansicht nach handelt es sich dabei um dieselben, die sich hinter der selbsternannten Kiezmiliz „Klasse gegen Klasse“ verbergen. Zum ersten Mal zur Polizei ging sie, als sie noch vor seinem Auszug von seinen Freunden verprügelt worden war. W.s Freunde rächten sich für die Anzeige. Im Bett drückten sie der Schwerkranken die Kehle zu: „Nimm die Anzeige zurück.“

Als weitere Racheakte wurde dreimal in ihre Wohnung eingebrochen, zweimal in ihre Tanzschule in Mitte. Ihr Motorrad ist weg, ihre Stereoanlage, Lap-Top, Schmuck und Bargeld. Jetzt sitzt die Hochschwangere auf ihren letzten Siebensachen in ihrer Wohnung. Wenn sie zur Haustür herauskommt, wird ihr regelmäßig aufgelauert, bleibt sie zu Hause, klingelt ihr Telefon. Manne und seine Freunde rufen regelmäßig an, früher öfter als jetzt. „,Wir finden schon einen, der dir in den Kopf schießt‘, kichern sie dann oder: ,Willst du deinen Bastard nicht mal adoptieren lassen‘.“ Einmal habe W. bereits seinem sechsjährigen Sohn am Telefon gedroht. Offensichtlich als Anspielung auf ihren südamerikanischen Freund habe sie eine ausgeschnittene Figur eines Schwarzen im Briefkasten gefunden – und ein Hakenkreuz. „Das sind richtige Psychopathen.“ Ihr einziges Motiv sei blinder Haß. „Sie haben mir auch schon den Kindersitz am Fahrrad losgeschraubt und Schrauben in die Autoreifen gedreht.“

Letztes Jahr im Dezember kam W., der inzwischen in den Prenzlauer Berg verzogen ist, noch einmal vorbei. Vor ihrer Haustür versuchte er, Sibylle Schmidt zusammenzuschlagen. Im Januar hatte sie eine Fehlgeburt. Für die meisten Attacken macht Schmidt aber seine dubiosen Kumpels verantwortlich – die vermutet sie auch hinter den „Klasse gegen Klasse“- Anschlägen der vergangenen Jahre. W. selber hält sie dabei nicht für federführend. „Der ist inzwischen hauptsächlich an seinem Geld und seiner Ruhe interessiert.“ Dennoch decke er deren kriminelle Aktivitäten. „Seine Ganovenehre geht ihm immer noch über alles.“

Den harten Kern von „Klasse gegen Klasse“ hält sie für ebenso klein wie für die Ermittlungsbehörden leicht auffindbar. „Es sind immer diegleichen. Und sie werden auch immer wieder erkannt. Manchmal rennen sie ohne Maske in die Läden. Es ist unglaublich, daß die Polizei sich außerstande sieht, etwas gegen diese Irren zu unternehmen.“ Sie jedenfalls hofft bisher vergeblich auf deren Unterstützung. Dabei kann sie die Aussagen, die sie gemacht hat, schon nicht mehr zählen. Das seien „Streitigkeiten zwischen Bekannten“, kommentierte man dort ihre Anzeigen. Bis heute hat sie keinen Personenschutz erhalten. Üblicherweise scheitern Ermittlungen gegen „Klasse gegen Klasse“ daran, daß Zeugen und Betroffene nicht aussagen. Sibylle Schmidt zweifelt inzwischen, ob die Polizei überhaupt ein ernsthaftes Aufklärungsinteresse hat. Bisher ist sie allerdings auch eine der wenigen, die offensiv den Mund aufmachen.

Der Bekennerbrief zu dem angezündeten Auto demonstriert, wie „Klasse gegen Klasse“ gegen Redewillige vorgeht. Obwohl laut dem Bekennerbrief nichts von ihren Anschuldigungen wahr ist, wollten sie der „Denunziantin“ das Handwerk legen, lautet die krumme Argumentation. Es bleibt dabei offen, warum „Klasse gegen Klasse“ es nötig haben sollte, fälschlicherweise der Mitgliedschaft Beschuldigte zu rächen.

Warum Sibylle Schmidt angesichts der Bedrohung nicht den Mund hält oder wegzieht? „Komisch. Das fragt mich jeder. Aber können die nicht einfach mal in den Bau gehen?“ Oder verschwinden. „Deren Eltern haben zum Teil Häuser auf Hawaii. Aber immer schön vom Proletariat quatschen.“ Einerseits bezeichnet sie „Klasse gegen Klasse“ als „absolute Kindergartenszene“. „Was ist denn das für 'ne Logik, Frauen zu bedrohen oder Rentner in Dachgeschoßwohnungen oder 'nen Knopfladen.“ Andererseits hält sie die Gruppe für extrem gefährlich. „Die hantieren mit Sprengstoff, ohne auch nur zwei Minuten nachzudenken.“ „Der einzige Platz für Mittelklasseschmarotzer ist zwischen Mündungsfeuer und Einschuß“, rechtfertigte die Kiezmiliz ihre Methoden einmal selber.

Sibylle Schmidt schwört, nicht aufzuhören, Anzeigen zu erstatten, sobald sie etwas weiß. Und hofft, daß sie irgendwann mehr Mitstreiter hat und auf eine schutz- und ermittlungswilligere Polizei trifft. „Ich hätte lieber die Mafia auf dem Hals, als mit so Kranken zu tun zu haben.“ taz

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