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Blechlawine rollt nach China

24 internationale Autokonzerne wollen das chinesische Familienauto bauen / Regierung plant gigantisches Straßenbauprogramm  ■ Von Hermann G. Abmayr

Zwölf Millionen Einwohner leben in der südchinesischen Stadt Kanton. Die Zahl der Fahrräder und Rikschas hat niemand gezählt. Nur eines wissen die Stadtoberen: Sie stören den Autoverkehr, und deshalb wurde das Zentrum jetzt für Fahrräder gesperrt.

Der Verbrennungskapitalismus auf dem Weg ins Reich der Mitte: 24 Autokonzerne aus aller Welt ringen zur Zeit in Peking um den Millionenauftrag für ein chinesisches Volksauto. Selbst Winzlinge wie Porsche wollen das Riesenreich mobil machen. Sportwagenchef Wendelin Wiedeking hat seinen Prototyp, angeblich „die einzige echte Neuentwicklung“, sogar auf chinesisch vorgestellt. Zumindest drei Minuten seiner Rede mußten nicht übersetzt werden.

„Ich glaube, daß die Volksrepublik China im Jahre 2000 einen Jahresbedarf von mindestens drei Millionen Pkw haben wird“, frohlockt auch VW-Mann Martin Posth. Der für den Asien-Pazifik- Raum zuständige Vorständler weiß: „Wer den China-Käfer bauen darf, kann sich auf ein Produktionsvolumen freuen, das, konservativ geschätzt, bei 170 Millionen Fahrzeugen liegt.“

Auch die US-Amerikaner tummeln sich auf dem chinesischen Markt. Chrysler hat sich mit 31 Prozent an der Beijing Jeep Corporation beteiligt und damit immerhin einen Marktanteil von 12 Prozent erobert. 20 Prozent gehen an die japanischen Hersteller Nissan, Suzuki und Daihatsu; den Rest teilen sich die Europäer: Peugeot, Citroän und VW.

VW ist derzeit der mit Abstand größte ausländische Produzent in China. Das Werk in Schanghai – hier wurden 1993 rund 100.000 Santanas gebaut – gilt als eines der modernsten der Volksrepublik. Auch die VW-Tochter Audi mischt mit. In Changchun in Nordchina wird neben dem Jetta von VW der Audi 100 zusammengeschraubt. Zur Jahrtausendwende soll im Rahmen eines Joint-ventures ein weiteres VW/Audi-Werk fertiggestellt sein.

Nach einer Hochrechnung aus Wolfsburg kann der chinesische Markt in der Endphase 465 Millionen Fahrzeuge aufnehmen. Heute rollen auf den wenigen Straßen Chinas rund eine Million Autos, etwa 50.000 davon befinden sich in Privatbesitz. Dazu kommen noch die Schmuggelfahrzeuge, die keine Statistik erfaßt.

Und die Umwelt? Daimler- Benz-Lenker Edzard Reuter versicherte noch im September gegenüber der taz, beim Chinageschäft die ökologischen Probleme zu berücksichtigen. Reuter: „Wenn nämlich plötzlich 1,2 Milliarden Chinesen 400 Millionen Autos fahren, dann entstünde ein Umweltschaden, den wir mit unserem Umweltschutz in Europa und Amerika nie ausgleichen könnten.“

Als Beispiel für sein ökologisches Engagement fällt dem Vordenker aus Stuttgart aber nur der Katalysator ein. Ein Preiskrieg zwischen den Autos mit und ohne Kat müsse unbedingt verhindert werden – als ob dies bei 400 Millionen Autos noch eine relevante Größe wäre. Keine Rede ist vom „Öko-Auto“, das nur noch einen Liter für 100 Kilometer verbraucht, von alternativen Verkehrskonzepten oder gar von Verkehrsvermeidung. Schließlich will Daimler, so Mercedes-Chef Helmut Werner, in China schon bald 250.000 Einheiten pro Jahr produzieren. Die Autogiganten setzen auf Durchmarsch. VW-Boß Ferdinand Piäch verwendet dafür gewöhnlich militärische Begriffe. Und er hat recht. Es ist ein Krieg, der Krieg gegen die Umwelt.

Allein der Energiebedarf für die Produktion nach westlichem Muster ist gigantisch. 1,4 Milliarden Tonnen Kohle will die chinesische Regierung zur Jahrtausendwende in Kraftwerken und in der Industrie verfeuern, vor allem für westliche Investoren. Wenn China dann den Lebensstandard der USA erreicht haben wird, haben sich die weltweiten Emissionen des Treibhausgases CO2 verdoppelt.

Nicht aus ökologischen, sondern aus ökonomischen Gründen verweigert sich einer der deutschen Hersteller den Verlockungen aus dem fernen Osten: BMW. Bernd Pischetsrieder, der Vorstandsvorsitzende, verweist auf das mangelhafte Straßennetz und die geringe Zahl potenter Kunden. Und ein preiswerter Kleinwagen sei nicht das Segment der Bayern.

Pischetsrieders Zweifel sind berechtigt, denn in China gibt es erst 1.145 Kilometer Autobahn und rund 7.000 Kilometer Schnellstraßen. Die über eine Million Landstraßenkilometer sind nur schwer befahrbar. Erst seit Anfang des Jahres sind alle Kreise des Riesenreiches mit Straßen verbunden. Da das Verkehrsaufkommen zudem stark zugenommen hat, kommt es auf den Hauptverbindungsstraßen oft zu Staus. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf den wichtigsten Verkehrsadern beträgt 30 bis 40 Stundenkilometer.

Verkehrsminister Huang Zghendong setzt auf Straßenbau. Er will in den nächsten 30 Jahren Autobahnen und Schnellstraßen mit einer Gesamtlänge von 35.000 Kilometern errichten lassen. Dafür sucht er Investoren und Kreditgeber. Die Autobahn Beijing– Tangshan ist bereits mit Krediten der Weltbank finanziert worden. Vorteil für Investoren aus dem Ausland: Beim Straßen-, Brücken- und Tunnelbau gibt es keinen Zwang, mit chinesischen Partnern zu kooperieren.

Für welches Fahrzeug sich das Automobilministerium nach der Family Car Conference in Peking schließlich entscheidet, erfährt die Motorwelt frühestens Ende 1995. Am Jahresende will man aber bereits die fünf Finalisten benennen. Ein Verlierer steht bereits fest: die Umwelt.

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