: Tausche „Berlin“ gegen Parteisprecher
Der Ost-Länderrat von Bündnis 90/Die Grünen fordert den schnellen Umzug der Parteizentrale nach Berlin / Bei der Besetzung des Parteivorsitzes ist der Osten weniger ambitioniert ■ Von Matthias Geis
Werden die Ost-Landesverbände von Bündnis 90/Die Grünen auch in Zukunft eine ParteisprecherIn stellen? Wollen sie es überhaupt? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Ost-Länderrat am Mittwoch in Berlin. Daneben wurde über die organisatorischen und inhaltlichen Konsequenzen aus den deprimierenden Wahlergebnissen der jüngsten Vergangenheit debattiert. Nach langer und unstrukturierter Debatte wurden dann endlich zwei Beschlüsse gefaßt, die als Anträge dem Bundesparteitag am 3. und 4. Dezember in Potsdam vorgelegt werden sollen. Zum ersten: Der Ost-Länderrat fordert den Umzug der Parteizentrale aus Haus Wittgenstein bei Bonn „an den satzungsmäßigen Sitz der Partei nach Berlin“. Termin: Ende 1996. Zum zweiten: EineR der beiden ParteisprecherInnen soll aus dem Osten kommen. Soweit die Beschlußlage.
Doch die Sache mit den Parteivorsitzenden aus dem Osten ist sehr kompliziert. Bislang hat Marianne Birthler diese Position inne. Sie wird aber in Potsdam, wo das gesamte Führungsgremium neu gewählt wird, nicht wieder kandidieren. Der Assoziationsvertrag, in dem Bündnis 90 und die Grünen ihren Zusammenschluß geregelt haben, sieht keine Ost-West-Quotierung der beiden SprecherInnen vor. Festgelegt ist lediglich, daß vier der insgesamt neun Vorstandssitze aus dem Osten besetzt werden müssen. Ein verbriefter Anspruch auf einen Ost-Sprecher besteht also nicht, aber kandidieren kann selbstverständlich jedes Parteimitglied.
Zwei Parteimitglieder aus den neuen Bundesländern haben ihre Kandidatur schon angekündigt: Christiane Ziller, die frühere Bundestagsmitarbeiterin von Konrad Weiß und Beisitzerin im Bundesvorstand, sowie der ehemalige Abgeordnete Klaus-Dieter Feige, der den Wiedereinzug in den Bundestag verpaßt hat. Beide Bewerber stritten in Berlin für eine Ost-Repräsentanz an der Parteispitze. Doch beide lehnten es ab, ein Votum des Ost-Länderrates zu ihrer Kandidatur einzuholen, vermutlich weil beide sich der ungebrochenen Zustimmung des Partei- Ostens nicht sicher sein können. Selbst der allgemein und bescheiden gehaltene Antrag, einer der beiden Sprecher solle doch aus dem Osten kommen, erhielt in Berlin nur eine relative Mehrheit. Sechs Delegierte stimmten dafür, fünf enthielten sich, zwei stimmten dagegen. Kommentar des Kandidaten Feige: „Das Votum war so eindeutig beschissen, da brauche ich kein weiteres.“
Besonderer Druck auf den Bundesparteitag wird von diesem Antrag kaum ausgehen, zumal einflußreiche Bündnispolitiker wie Werner Schulz oder Marianne Birthler keinen Hehl daraus machen, daß sie „den Osten“ von beiden Kandidaten nicht vertreten sehen. Motto: Der Kampf für einen Ost-Sprecher oder eine Ost-Sprecherin mache nur Sinn, wenn die Kandidaten ihr Amt entsprechend ausfüllen.
Streit würde es, selbst wenn sie es tun würden, auf jeden Fall geben. Denn die beiden West- KandidatInnen, die Hamburgerin Krista Sager sowie der niedersächsische Ex-Minister Jürgen Trittin sind in sich bereits ein austariertes Duo. Sager gilt als Reala, Trittin wird dem linken Parteiflügel zugerechnet, beide gelten für die jeweilige Strömung als ausgesprochen starke Besetzung. Beide garantieren, daß der oder die andere nicht übermütig wird. Das kann produktiv oder neutralisierend wirken. Auf jeden Fall muß sich aber bei dieser Kombination keine Strömung übervorteilt fühlen. Unter Berücksichtigung der unstrittigen Mann/Frau-Quotierung hieße die Ost/West-Alternative: Sager/ Feige beziehungsweise Ziller/Trittin. Damit jedoch wäre die schöne Balance dahin. Zwar gilt auch Feige als Parteilinker. Doch als Alternative zu Trittin kann er sich in Potsdam kaum Chancen ausrechnen. Die Ziller/Trittin-Variante wiederum hätte für die Parteilinke durchaus Charme – und gilt dementsprechend den Realos als unannehmbar. Christiane Ziller gilt zwar als Linke, nicht aber als ein Gegengewicht zu Trittin.
Parteiarithmetik und mangelnde Ost-Unterstützung – die Zeichen für das West-Duo stehen gut. Im Gegenzug, so ist zu erwarten, wird sich der Ostflügel in Potsdam für den schnellen Umzug der Parteizentrale nach Berlin und für einen finanziellen West-Ost- Transfer für den Aufbau der Landesverbände stark machen. Der Umzug gilt dabei nicht nur als symbolischer Schritt, der den Schwerpunkt der künftigen Parteiarbeit verdeutlichen soll. Manche, auch im Westen, versprechen sich von der Verlagerung der Parteizentrale auch eine gewisse personelle Durchmischung des umfangreichen MitarbeiterInnenstabes.
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