: Film verschneit, Gespräch verpaßt
■ Ibrahim Böhmes Reden und Schweigen im Fernsehprogramm N3/ORB
Vor seinem Höllensturz liebten ihn alle – die sozialdemokratischen Oberen, die Bürgerbewegten, die Journalisten und nicht zuletzt die ostdeutschen „Massen“. Dann, als aus den Opferakten zentnerschweres Belastungsmaterial ans Tageslicht kam, als Rainer Kunze den Verrat des Freundes in „Deckname Lyrik“ enthüllte, kam das lange, das von allen Seiten praktizierte Schweigen. Der Journalistin Birgit Lahann gelang es schließlich, zu dem verstockt Leugnenden vorzustoßen, ihn in endlose Gespräche zu verwickeln, ohne ihn je zum Eingeständnis seiner Spitzelkarriere bewegen zu können. Resultat dieser Anstrengung war zuerst das Buch „Genosse Judas“ (basierend auf Böhmes abweisendem Spruch „Genosse Judas empfängt nicht“). Schließlich der Film „Der Mann im schwarzen Mantel“, ein gedanklich dürres Spektakel, bei dem es zu jeder Jahreszeit schneite – stilgerecht am Buß- und Bettag auf dem Schirm. Und hinterher: er selbst, das Objekt der Begierde Frau Lahanns, erstmals seit 1990 wieder in der Glotze.
Selbst wenn er nicht ständig von der als Staatsanwältin posierenden Journalistin unterbrochen worden wäre – Ibrahim Böhme hätte uns nichts zu sagen gehabt. Der etwas rundlich gewordene Herr, immer noch adrett gekleidet, immer noch von chinesischer Höflichkeit im Gespräch, er korrigierte eine Jahreszahl hier, einen Namen dort. Aber weder machte er den Versuch, auch nur eine der Tatsachenbehauptungen zu widerlegen, die seine Spitzeltätigkeit belegten, noch wich er auch nur einen Zentimeter von der mittlerweile völlig imaginären Verteidigungslinie des Jahres 1990 zurück. Niemals sei er IM gewesen, niemals habe er Berichte geschrieben, niemals habe er Geld genommen.
Einen Augenblick lang schien ein Lichtstrahl die Schlangengrube zu erhellen. „Ich habe gehofft“, so Böhme, „daß Frau Lahann meine angebliche Verstrickung in die Staatssicherheit entmystifizieren würde, aber diese Hoffnung wurde enttäuscht.“ Was galt es zu entmystifizieren? Den „Dämon“ Stasi, das psychologische Erklärungsschema, dessen sich Birgit Lahann gegenüber ihrem Opfer/Patienten bediente? Welche nicht-mystische, demnach rationale Deutung seiner Biographie hätte uns Ibrahim Böhme vorzuschlagen gehabt? Er wurde nicht gefragt.
Vielleicht wäre es einer objektivierenden Gesprächsführung, die den Protagonisten des Films als einen „Dritten“ behandelt hätte, gelungen, Ibrahim Böhmes Gedankenproduktion in Bewegung zu setzen. So aber erlebten wir statt der mäandernden, aber stets zielbewußt dem Verb zusteuernden Satzkonstruktionen, die soviel enthüllten, wie sie verbargen, nur abgestumpfte, resignierte Einsilbigkeit. Das war's – war's das? C.S.
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