: Gutbetuchte bekommen kaum Tuberkulose
■ Wer weniger Geld hat, ist stärker betroffen: Tuberkulose-Gefahr hängt eng mit der Wohnungsnot zusammen / Einige Erreger sind sogar gegen Antibiotika resistent
Schnupfen ist demokratischer: Jeder bekommt ihn mal. Das gilt keineswegs für Tuberkulose. Diese Krankheit bekommen vor allem diejenigen, die unter schlechten hygienischen Bedingungen leben, deren Ernährung weniger ausgewogen ist und die mit vielen anderen Menschen auf engem Raum zusammen wohnen. Wer also weniger Geld hat, ist viel eher von Tuberkulose betroffen.
„Es ist eine soziale Krankheit“, sagt daher Professor Henning Rüden, Direktor des Berliner Hygiene-Instituts: „Tuberkulose taucht nicht in den gutbetuchten Vierteln auf, sondern da, wo viele auf engem Raum zusammenleben müssen; also nicht in Zehlendorf, sondern im Wedding oder Prenzlauer Berg.“
Bereits vor zwölf Jahren prangerte Rüden die Versäumnisse an, untermauerte sie auch mit Zahlen des Statistischen Landesamtes Berlin: Der Bezirk Wedding war pro Einwohner viermal so stark von Neuerkrankungen betroffen wie Zehlendorf. Insgesamt liegt Berlin noch immer um gut das Doppelte über dem Bundesdurchschnitt.
Zwar hat es schon lange keinen Todesfall mehr gegeben, aber Rüden hält auch das nicht mehr für ausgeschlossen. „Einige der Erreger sind inzwischen mehrfachresistent“, also widerstandsfähig gegen Antibiotika. Eine problemlose Bekämpfung der Bakterien, die meistens zu Lungenentzündung führen, ist daher nicht mehr sicher. Es sei daher dringendes Ziel, „daß Tuberkulose erst gar nicht auftritt“.
Eigentlich neu und für Politiker überraschend ist die Forderung nicht. Bereits zur Diskussion um die Paulskirchen-Verfassung von 1848 steuerte Rudolf Virchow Forderungen nach hygienischen Mindeststandards bei, um Tuberkulose zu vermeiden. Schon aus dieser Zeit stammt die Bezeichnung „soziale Krankheit“.
Denn die Wohnungsnot hängt eng mit Tuberkulose und anderen infektiösen Krankheiten zusammen. Gerade kinderreiche Familien hätten oft nicht genug Geld, Wohnungen mit entsprechender Größe zu mieten. Davon besonders betroffen sind nach Rüdens Ansicht Berliner ausländischer Herkunft. Das gilt bundesweit, wie die 92er Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen: Während von 100.000 Deutschen im Jahr gut 13 Personen an Tuberkulose erkrankten, waren es unter der ausländischen Wohnbevölkerung fast 67 – fünfmal soviel.
Hygieniker Rüden befürchtet eine dramatische Zunahme der Krankheit, wie es diese in den USA bereits gebe. „Das liegt auch daran, daß biologische Schadstoffe wie Bakterien weniger ernst genommen werden als chemische.“ Wenn auch nur minimale Asbestwerte in einem Bürohaus gemessen würden, werde für enorme Summen saniert, „selbst wenn die Gefährdung für die Menschen in verschimmelten Wohnungen viel größer ist“.
Eine deutliche Zunahme wie in den anderen europäischen Ländern gebe es bislang nicht, so Dr. Jaromir Smidl gegenüber der taz. Allerdings gehe die Zahl der Infektionen nicht mehr weiter zurück, so der Arzt in einer der fünf Berliner Tuberkulose-Fürsorgestellen. Wohnungen seien die häufigste Ansteckungsquelle, bestätigt Smidl, „besonders wenn die Wohnung eng ist“.
Selbst Baufachleute bezeichnen Schimmelpilz, der eine der Erregerquellen ist, inzwischen als soziales Phänomen. Kleinere und flachere Wohnungen würden zunehmend überbelegt, beschreibt etwa der Stuttgarter Bauingenieur Horst Bieberstein. Es fehle ganz einfach an Raumluft, um Schimmel zu vermeiden. Außerdem werde jeder Quadratmeter genutzt, um doch noch ein Regal oder einen Einbauschrank unterzubringen. Doch wo die Luft nicht zirkulieren kann, wachsen Pilze – und mit ihnen die Gefahr gefährlicher Infektionen. Christian Arns
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