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Mit zwanzig Mark bist du dabei

■ Rumänische Schmuggler mit Diesel, Schnaps und Latschen auf dem Weg von Bukarest nach Istanbul und zurück

Die Busse haben Video, aber keine Toilette. Die Fahrt dauert acht Stunden, an den vier Grenzübergängen wartet man fast doppelt so lange. Mit zwanzig Mark bist du dabei: einmal Bukarest — Istanbul und zurück. In zwei Tagen. Oder drei.

Am Bukarester Nordbahnhof geht's um acht Uhr los. Also halb neun. Die bischnitzari, die kleinen Geschäftemacher, reisen mit großen, leeren Taschen. Im Gepäckraum sind ein paar tausend Liter Diesel verstaut. Ahmed, der Fahrer, schreit und lacht.

Nach zehn Minuten stoppt ein Polizist das rasende Vehikel: „He, Kollega, Elektrik kaputt!“ Alle Blinker und Lampen funktionieren, doch der Bulle kassiert eiskalt ab – ohne Quittung. Begründung? „Sag mal, du Pisser, soll'n wir dich mitnehmen?“ Es geht weiter. An der Straße weiden dürre Ziegen, im Bus schreien vierzig rumänische Passagiere: „Video!“ Der Beifahrer legt einen Kampffilm ein. Die Protagonisten sprechen wenig, das Blut fließt in Strömen.

Am Grenzübergang Giurgiu- Russe zwölf Kilometer Stau. Lkws warten drei Tage, Autos und Busse ein paar Stunden. Ein Alter verkauft Lose, preist das große Glück an. Ein fetter Zöllner steigt in den Bus und schreit die Reisenden an, läßt sich dann schnaufend auf der Rückbank nieder. Ein Packen Geldscheine wechselt in seine Hände. Ahmed freut sich: Es läuft wie geschmiert heute. Am letzten Wachhäuschen ruft er dem Soldaten zu: „Wiedersehn, Chef!“ Ein Packung Zigaretten fliegt durchs offene Fenster, der Soldat fängt sie auf.

Stunden später, an der bulgarisch-türkischen Grenze bei Slivengrad, kauft Ahmed Tüten. Inhalt: je ein Liter Schnaps und zwei Stangen Zigaretten. Jeder Reisende bekommt eine Tüte in die Hand gedrückt und marschiert durch den türkischen Zoll. Eine Tüte für den Zöllner, den Rest sammelt Ahmed lächelnd wieder ein. Aha – so geht die Rechnung mit dem billigen Fahrpreis auf. In Edirne, auf der türkischen Seite, wird die nächste Imbißbude angesteuert. Die Reisenden schlingen ein paar Brocken runter, während Ahmed Zigaretten und Schnaps verkauft. Später wird in einer Baracke der rumänische Diesel ausgepumpt.

Nachts um halb zwei kommt der Bus in Istanbul an und wird in einer Vorstadt-Garage abgestellt. Vier Stunden Schlaf. Um sechs stehen die vierzig Rumänen auf dem Laleli-Basar, um drei geht es zurück nach Bukarest – die Taschen gefüllt mit Gold, Lederjacken, Billiglatschen. Vor Edirne verreckt das Gefährt. Stunden Reparatur auf einem einsamen Hinterhof.

Bei Sonnenaufgang geht es weiter, mit achtzig die Serpentinen hinunter. Die Reisenden beten. Seit Stunden läuft monotone Musik. Abschalten geht nicht, sonst schläft Ahmed ein, sagt der Beifahrer. Der Zöllner an der rumänischen Grenze kassiert diesmal von den bischnitzari. Marian hat sechzehn Lederjacken gekauft. Gutes Imitat, sieht aus wie echt. Der Zöllner schätzt: „Zwanzig!“. Marian reicht ihm den D-Mark-Schein, der in der ausgebeulten Hosentasche des Zöllners verschwindet. Dann kommt die Cholera-Kontrolle. „Fühlt sich einer schlecht?“ Nein. Alles klar. Am späten Nachmittag bist du in Bukarest. Am nächsten Morgen, wenn alles noch schläft, sitzt Marian schon wieder im Bus. Keno Verseck, Bukarest

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