: „Alles nur eine Frage der Organisation“
■ Gespräch mit dem italienischen Schmuggler Francesco Licardi
taz: In Neapel lebt nach Polizeimeinung fast eine Viertelmillion Menschen, also ein Fünftel der Bevölkerung, vom Schmuggel. Übertrieben?
Francesco Licardi: Untertrieben. In Neapel lebt jeder vom Schmuggel.
Das mußt du erklären.
Nicht jeder lebt ausschließlich vom Schmuggel, aber jeder hat Teil daran: Die einen, weil sie schmuggeln, die anderen, weil sie Schmuggelgut kaufen und sonst ihren Lebenstandard nicht aufrechterhalten könnten, wenn sie korrekte Preise zahlen würden. Ausgenommen sind da höchstens ein paar Superreiche – aber auch die sind meist in ihrer Frühphase durch Schmuggel reicher geworden.
Wie geht das technisch vor sich?
Ein Teil des Schmuggels läuft über heimliche Wege, so wie man das im Kino sieht: doppelte Böden, außerhalb der Fünfzehnmeilenzone ausgesetzte wasserdichte Schwimmladungen, die dann von Fischern geborgen werden, unverdächtige Kuriere – etwa schwangere Frauen oder Diplomaten – und so weiter. Diese Wege beschränken sich heute allerdings auf hundertprozentig illegale Ware, etwa Rauschgift oder Waffen. Die meisten anderen Schmuggelwaren kommen über legale Wege, aber verdeckt. Keine ausländische Zigarette wird über den normalen Markt bezogen, da läuft auch bei den staatlichen Tabacchi nahezu alles über Contrabbando.
Aber wir haben doch selbst gesehen, wie Container mit Marlboro und Merit entladen und ordnungsgemäß über die Zollstellen geleitet wurden.
Richtig. Aber hast du das Gewicht kontrolliert, die Anzahl der Packungen? Da stimmen die Begleitpapiere faktisch nie mit der angegebenen Menge überein: Der Überschuß, mitunter bis zu einem Viertel, wird umgelegt auf die Gesamtanzahl und drückt den Einkaufspreis jeder Stange um 25 Prozent Zoll.
Wissen das die Tabakhersteller?
Klar. Erinnerst du dich, wie der Finanzminister Formica vor drei Jahren alle Zigaretten aus dem Philip-Morris-Konzern für einige Zeit vom Markt verbannt hat? Die hatten regelrecht versucht, uns Schmuggler vom Markt zu verdrängen, indem sie die Sache selbst in die Hand nahmen. Darüber gibt es inzwischen sogar Gerichtsprotokolle.
Nun raucht ja nicht jeder. Was kaufen die anderen Leute ein?
So ziemlich alles, was man durch Zollumgehung billiger machen kann: Autos und Videogeräte, Küchenmaschinen und Arzneimittel und so weiter.
Wie geht das vor sich? Gebrauchte Autos kann man wohl schmuggeln. Aber neue?
Höchst einfach: Man bringt sie als zugelassene Autos nach Italien. Man muß nur den Tacho manipulieren und die Zulassung danach wieder aus der Welt schaffen. Das heißt, bei der Anmeldung in Italien wird das Auto zunächst als Gebrauchtwagen mit einer Kilometerzahl von 30.000 eingeführt. Das reduziert den Zoll – oder, wenn der Wagen aus der EU kommt, den Mehrwertsteuerausgleich – bereits um ein paar Tausender. Dann wird der Tacho wieder auf Null gestellt. Das merkt in der Regel kein Käufer, und die Wagenpapiere werden auf neu manipuliert. Da der Käufer den Wagen ja „rechtmäßig“ erwirbt, er also nicht als gestohlen in Computern auftaucht, fliegt die Sache praktisch nie auf. Wer zuviel Schiß davor hat, läßt sich den Wagen gleich angemeldet übergeben. Da wird man dann bei einer entsprechend geschmierten Stelle vorstellig. Allerdings verteuert eine solche Prozedur die Sache wieder. Es ist alles nur eine Frage der Bezahlung und der Organisation. Interview: Werner Raith
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