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Vor dem Selbstmordanschlag ein Mahl mit dem Führer

Die separatistischen „Befreiungstiger“ der LTTE kämpfen seit zwanzig Jahren für einen eigenen tamilischen Staat in Sri Lanka  ■ Aus Colombo Bernard Imhasly

Die „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) gehören heute zweifellos zu den wirksamsten Widerstandsgruppen der Welt. Ihre Schlagkraft verdanken sie ihrem hohen Organisationsgrad, strenger Disziplin und Motivation ebenso wie der Tatsache, daß sie über ein eigenes Territorium verfügen. Und sie setzen Mord (und Selbstmord) kalkuliert ein.

Gerade dieser letzte Punkt unterschied die 1974 (unter dem Namen „Tamil New Tigers“) gegründete Bewegung von Anfang an von den zahlreichen anderen Tamilengruppen, die während der siebziger Jahre in Sri Lanka entstanden, um die Rechte der tamilischen Minderheit gegen den Chauvinismus der singhalesischen Mehrheit zu verteidigen.

Bereits 1975 soll Vellupillai Prabhakaran, ein Mitbegründer der LTTE und heute deren unbestrittener Führer, am Attentat auf den populären tamilischen Bürgermeister von Jaffna beteiligt gewesen sein. Seitdem gehört der politische Mord zum festen Inventar der Tiger-Strategie: In den frühen Jahren waren vor allem tamilische Politiker, Konkurrenzgruppen und LTTE-Rivalen ihre Opfer. Sie half Prabhakaran, die LTTE ab Mitte der achtziger Jahre als wirksamste Repräsentantin der Tamilen zu etablieren.

Von da an wurden vor allem singhalesische Politiker Zielscheibe der Attentate. Falls der Anschlag auf den srilankischen Präsidentschaftskandidaten Gamini Dissanayake am 24. Oktober auf das Konto der Tamil Tigers geht – was die LTTE bestreitet –, wäre dies der jüngste in einer langen Reihe politischer Morde. Die politische Philosophie der Tiger scheint sich fast ausschließlich auf die Rechtfertigung der physischen Vernichtung des Gegners zu beschränken. Kenner der Tamil Tigers wie der srilankische Sicherheitsspezialist Rohan Gunaratne führen das darauf zurück, daß die LTTE in erster Linie eine militärische Organisation ist. So kümmerlich ihre politische Artikulation ist, so hervorragend ist ihre militärische Organisation und Strategie. Sie gründet sich auf ein Netz von geheimen Camps in den Dschungeln von Vanni im Norden der Hauptinsel und auf die weitgehende Infiltration des politischen und polizeilichen Establishments in Colombo. Sie reicht auch bis zur tamilischen Diaspora in Indien und Übersee, für welche die LTTE 34 „Sammelzentren“ unterhält. Eine undurchsichtige Befehlshierarchie wird durch eine (vom langjährigen Gefährten Prabhakarans, Pottu Amman, geführte) geheime Parallelorganisation gestützt. Jeder Dissens wird registriert und im Keim erstickt.

Die LTTE bekämpft den Staat an allen Fronten. Unkonventionelle Mittel, innovative Techniken und das Überraschungsmoment sollen sicherstellen, daß sie den Vorteil des Ersthandelnden nicht aus den Händen gibt.

An der überlegenen mili-

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gie der LTTE ist auch die indische Invasionstruppe gescheitert. Obwohl sie 100.000 Soldaten einsetzte und eine beträchtliche Erfahrung im Guerillakrieg mitbrachte, gelang es ihr in den Jahren 1987 bis 1989 nicht, die Tiger militärisch zu besiegen. Die Befriedungsmission der Inder – deren Ziel ausgerechnet eine größere Autonomie für die Tamilen war – konnten die Tamil Tigers mit dem Einsatz von nie mehr als 5.000 KämpferInnen und HelferInnen so konsequent stören, daß jene nach zwei Jahren unverrichteter Dinge abziehen mußten.

Um dies zu erreichen, hatte sich LTTE-Führer Prabhakaran sogar mit dem verhaßten singhalesischen Präsidenten Premadasa in Colombo arrangiert. Sobald aber die Inder Segel gesetzt hatten, brach der Tiger diese Beziehung ab. Er tat dies in charakteristischer Manier: Nach der Aufkündigung des Waffenstillstands im Sommer 1990 wurden 600 singhalesische und muslimische Polizisten, die sich in der Ostprovinz der LTTE ergeben hatten, erschossen. Drei Jahre später wurde Präsident Premadasa selber Opfer eines vermutlichen LTTE- Selbstmordattentäters.

Die Lektion der „Indian peacekeeping Force“ sitzt der srilankischen Armee noch in den Knochen. Das hält sie nun davon ab, die Halbinsel Jaffna militärisch zu besetzen. Die LTTE, die dieses von ihr beherrschte Territorium weiterhin aus dem Untergrund regiert – es gibt keine Regierung von Tamil Eelam! –, würde sich einfach ganz in die Dschungel von Vanni zurückziehen und mit sorgfältig ausgewählten Hit- and-run-Aktionen die srilankische Armee treffen.

Der Erfolg der LTTE liegt, so meint der indische General S.C.Sardeshpande, nicht zuletzt darin, daß die Organisation „die Grenze zwischen brutaler Grausamkeit und strategischer Finesse bis zur Unkenntlichkeit verwischen kann“. „Die LTTE“, sagt Sardeshpande in seinen Aufzeichnungen über den Krieg in Sri Lanka, „hat nach konventionellen Gesichtspunkten jede Irrationalität begangen, aber sie ist nie von ihrem einen Ziel abgewichen.“

Kenner wie Gunaratne und Sardeshpande sind der Meinung, daß nur diese absolute Unterwerfung aller Mittel unter das Endziel – „Tamil Eelam“, eine „tamilische Heimat“ – ihren Erfolg erklärt. Zu den Mitteln gehört nicht nur der politische Mord, sondern auch die Bereitschaft der LTTE-KämpferInnen, das eigene Leben diesem Ziel unterzuordnen. Es ist diese Absolutheit und Einfachheit der Zielsetzung, welche es Prabhakaran erlaubt, trotz häufiger Säuberungen der eigenen Kader, unerklärlicher taktischer Kehrtwendungen, einer vollständigen Verschleierung der internen Befehlshierarchie und der totalen gegenseitigen Überwachung die enthusiastische Gefolgschaft vieler junger Tamilen zu sichern und zu erhalten.

Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist die Kommandoaktion von „Sea Tigers“ gegen ein Kanonenboot der srilankischen Marine im September. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, daß es der neuen Regierungschefin Chandrika Kumaratunga ernst war, mit den Tigern bedingungslose Friedensverhandlungen zu beginnen – gegen die Empfehlung des militärischen Establishments. Mitten in den Vorbereitungen zur ersten Gesprächsrunde ließ Prabhakaran plötzlich auf hoher See das Marineschiff in die Luft sprengen. Dies kostete nicht nur zahlreiche Matrosen das Leben (und trieb die Wut der Militärs auf die Spitze): Die Aktion war zudem nur deshalb erfolgreich, weil zwei weibliche Sea Tigers dazu bereit waren, sich als lebende Bomben zu opfern.

Am Vorabend der Aktion, so berichtete später die LTTE-Zeitung von Jaffna, hätten die vier für den Selbstmordanschlag ausgewählten Mädchen das Privileg gehabt, mit „Anna“ – dem „älteren Bruder“ – Prabhakaran, quasi ihr letztes Abendmahl einzunehmen. Das Todesritual gibt dem Führer nicht nur eine beinahe unschlagbare Waffe in die Hand, es hebt den Handlungsentscheid auch über jede rationale Infragestellung hinaus.

Neben kriminalistischen Indizien ist es ein derartiges Vorgehen, das Beobachter in Colombo in ihrem Verdacht bestärkt, daß die LTTE durchaus imstande ist, einen Exponenten des srilankischen Staats – den Präsidentschaftskandidaten Gamini Dissanayake – just in dem Augenblick zu eliminieren, in dem die Unterhändler dieses Staats schon für Verhandlungen im LTTE-Hauptquartier unterwegs waren.

Das sei keineswegs blinde Gewalt, meint der Publizist Rohan Gunaratne: „Die systematische Auslöschung der Führungselite in Colombo wird den Staat so schwächen, daß ,Tamil Eelam‘ den Tigern schließlich wie eine reife Frucht in den Schoß fällt.“ General Sardeshpande formuliert es anders: „There is method in their madness.“

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