: „Kontrolle lasch, Kriegsgerät in großen Mengen“
■ Martin Jung, Ko-Autor von „Der Krieg in Jugoslawien“ und Vorstand des Rüstungs-Informationsbüros Baden-Württemberg, zum Waffenembargo gegen Bosnien
taz: Die USA haben ihre zwei Kriegsschiffe am letzten Wochenende aus der Überwachung des Waffenembargos gegen Bosnien- Herzegowina zurückgezogen. Welche Bedeutung hat das, wieviele Waffen kommen über den Seeweg nach Ex-Jugoslawien?
Martin Jung: Nach unseren Quellen kommen rund 90 Prozent der Waffen über den Landweg. Zudem haben die Anrainerstaaten so ihre Probleme mit der Überwachung der Grenzen nach Ex-Jugoslawien. Das betrifft bei weitem nicht nur Rumänien oder Albanien: Ich kenne das selbst, wenn man mit dem Zug oder mit einem Kombi einreist, reicht es, seinen Reisepaß vorzuzeigen. Und in einen Kombi kriegt man einige hundert Maschinengewehre rein.
Werden in Bosnien Maschinengewehre benötigt?
Ich glaube, es wird alles genommen, was ankommt. Es sind beispielsweise relativ viele Gewehre der deutschen Firma „Heckler und Koch“ vom Typ G3 vor Ort, wobei nicht genau nachvollziehbar ist, ob diese Waffen aus Deutschland kommen. Das G3 wird nämlich unter anderem von Pakistan, dem Iran, der Türkei, Saudi-Arabien, Mexiko, insgesamt in 13 Ländern in Lizenz gefertigt. Außerdem gibt es AK47-Gewehre, die hauptsächlich aus Rumänien stammen, verschiedene Kalaschnikows, alte jugoslawische M48-Gewehre, und für den Notfall Mauser-Gewehre, die die Deutschen im Zweiten Weltkrieg dagelassen haben. In der letzten Zeit ist zudem relativ viel Material für die bosnische Armee aus den USA gekommen. So berichtet Paul Beaver von der „Jane's Information Group“, dem größen britischen Militärverlag, daß schon seit Frühjahr dieses Jahres in großen Mengen US-Kriegsgerät an die bosnische Armee gegangen sei, darunter Stinger-Raketen, Nachtsichtgeräte, Sturmgewehre, Granaten und Mörser. Angesichts der Lobby-Arbeit für die bosnische Seite, die in den USA betrieben wird, scheint es mir auch nicht unwahrscheinlich, daß die USA Waffen an Bosnien liefern, zwar inoffiziell, aber in großen Mengen.
Laut Zeitungsberichten unterstützt Washington die bosnische Armee auch mit Ausbildern, Waffen und Luftaufnahmen serbischer Stellungen. Werden diese Waffen vom Staat oder von Privatfirmen geliefert?
Unseren Recherchen nach läuft das über Privatfirmen, aber der Staat drückt beide Augen zu. Über US-Ausbilder weiß ich nichts, aber militärisch wird das keinen großen Unterschied machen: Zum einen sind ja auch noch andere Nato- Staaten an der Überwachung des Embargos beteiligt, zum anderen wurde die Kontrolle ja auch schon bisher so lasch gehandhabt, daß dort seit der Verhängung des Embargos vor drei Jahren in Bosnien Kriegsgerät in großen Mengen angekommen ist. Das Problem der Bosnier war bisher eher die Finanzierung als die Einfuhr.
Wie wurde dieses Finanzierungsproblem gelöst?
Auf verschiedene Arten. Vor zwei Monaten kam zum Beispiel heraus, daß Bosnier hier in der Bundesrepublik eine Kriegssteuer zahlen müssen. Auch wenn das mittlerweile unterbunden wird – die Steuer wurde schon im Januar eingeführt, und auch jetzt wird sie zwar offiziell freiwillig gezahlt, in der Praxis aber nach wie vor eingetrieben. Andere Geldquellen sind Spenden von Exil-Bosniern, Privatpersonen aus anderen islamischen Ländern wie Saudi-Arabien, Pakistan, Türkei. Zumindest die Türkei hat auch Militärberater geschickt, und aus anderen Ländern kamen Söldner und Freiwillige. Viel von dem in Bosnien benutzten Kriegsgerät ist zudem gebraucht und daher etwas billiger zu haben.
Werden nur an die bosnische Seite Waffen geliefert?
Nein, an alle Seiten, wobei es aber sehr unterschiedliche Schätzungen darüber gibt, wieviel letztendlich wo ankommt. So stand im Economist, daß von den 2 Milliarden US- Dollar, für die 1993 Waffen nach Ex-Jugoslawien geliefert wurden, 80 bis 90 Prozent an die Bosnier gegangen seien. Laut „Jane's Information Group“ gingen nur 1,3 Milliarden an die bosnischen Kriegsparteien. Der Spiegel gab an, ungefähr 15 Prozent davon seien für die Bosnier, die Hälfte für die Kroaten und das restliche Drittel für die Serben. Die GUS, Deutschland und die Slowakei stehen demnach ganz oben auf der Liste der Herkunftsländer. Eine große Quelle sind auch zum Beispiel die libanesischen Christenmilizen, die jetzt, seitdem es dort ruhiger geworden ist, ihr Material nicht mehr brauchen und an alle drei Kriegsseiten liefern.
Wieviele Waffen kommen aus Kontaktgruppen-Staaten?
Laut Spiegel 430 Millionen aus der GUS und 326 Millionen aus Deutschland, das ergibt 756 Millionen. Rechnet man die hier unter „andere“ gefaßten anderen Kontaktgruppen-Staaten hinzu, dann kommen mehr als die Hälfte aller Waffenimporte nach Ex-Jugoslawien aus Staaten der Kontaktgruppe. Dabei liefert die GUS in erster Linie an die Serben, während etwa die Hälfte dessen, was an die Kroaten ging, aus Deutschland gekommen sein soll.
Werden die Kriegsparteien darüber hinaus unterstützt?
Die Türkei hat wie gesagt Militärausbilder geschickt, und nach verschiedenen Berichten waren ehemalige NVA-Angehörige auf Seiten der Regierungstruppen und bei den kroatischen Truppen tätig. Im Mai 1992, also vor Ausbruch des Krieges in Bosnien, hat der damalige Staatssekretär im Innenministerium, Hans Neusel, angegeben, die berüchtigte „Schwarze Legion“ der HOS (Miliz der faschistischen „Kroatischen Partei des Rechts“, HSP; Anmerkung der Redaktion) würde von einem ehemaligen NVA-Offizier geleitet.
Gibt es auch direkte Unterstützung durch andere Staaten?
Die Bundesregierung hat auf Bundestagsanfragen im letzten Jahr geantwortet: Nein. Das Bundes-Ausfuhramt hat dieses Jahr allerdings den Export von Rüstungsgütern im Wert von 990.000 Mark nach Kroatien genehmigt, wie das möglich war, ließ sich bisher nicht feststellen. Ich habe Bundesaußenminister Klaus Kinkel vor einigen Wochen danach direkt befragt, und er hat abgestritten, daß es überhaupt Lieferungen in Krisengebiete außerhalb der Nato gibt. Interview: Rüdiger Rossig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen