: Die Aufkleber vergilben
■ In Bonn gibt es nur noch hinhaltenden Widerstand gegen den Regierungsumzug
Auch den hartnäckigsten Rheinländern ist inzwischen klar geworden, daß ihr kleines Bonn nicht mehr Hauptstadt bleiben kann. An Verkehrsschildern und Verteilerkästen, an Autohecks und Lichtmasten vergilben die einst massenhaft vertriebenen Protestaufkleber („Wir sind die Steuerzahler“ – „Schluß mit dem Umzugswahnsinn“). Und am Tag der Kanzlerwahl stand nur noch ein Unentwegter vor dem Bundestag und verteilte sein Pamphlet gegen den angeblich grundgesetzwidrigen Umzug an die Spree. Noch vor einem halben Jahr agitierten dort regelmäßig Dutzende von kämpferischen BonnerInnen.
Die wichtigsten politischen Entscheidungen sind nicht mehr revidierbar. Noch bei der Vorstellung seines Kabinetts am Donnerstag hat Kanzler Kohl klargemacht, daß er den Umzug für ein drängendes Problem hält. Darum der neue Bauminister Klaus Töpfer als „Troubleshooter“.
Die Berliner Landesvertretung in Bonn verbreitet im Hinblick auf den Umzug das Grundgefühl eines gesunden Optimismus. Einzelwiderstand ist dabei einkalkuliert, wird aber nicht überschätzt. Pressesprecher Lutz Nebelin: „Für jüngere Abgeordnete ist die einzige Möglichkeit, sich zu profilieren, gegen den Umzug zu reden.“
Eine monatelange Diskussion wie die über die Reichstags-Kuppel, mit der die Unionsfraktion aus ideologischer Verbohrtheit und rheinischem Interesse einen Beschluß über den Wallot-Bau hinauszögerte, wird es nach Nebelin nicht mehr geben: „Wir gehen davon aus, daß das Parlament und die Regierung bis 1998/99 in Berlin arbeiten können.“
Noch weiter entgegenkommen würde den Berlinern die Installierung eines eigenen Umzugsbeauftragten beim Bauminister, wie sie Kohl am vergangenen Wochenende ins Gespräch gebracht hatte. Aber am Donnerstag antwortete der Kanzler auf entsprechende Fragen ausweichend. Die Berliner Zeitung brachte gestern Hans- Jochen Vogel für den Posten ins Gespräch.
Mit dem neuen Bauminister Klaus Töpfer hat Berlin jedenfalls einen Freund im Kabinett sitzen. Der Saarländer, der am Donnerstag vereidigt wurde, hatte in der dramatischen Sitzung des Bundestags am 20. Juni 1991 für den Umzug an die Spree gestimmt. Vorgängerin Irmgard Schwaetzer, später immerhin eine loyale Verwalterin des Parlamentswillens, stimmte damals für Bonn.
Den Bonner Beamten bleibt nur noch, den Bundestagsbeschluß von 1991, der den Umzug zwischen 1998 und 2000 vorsieht, möglichst großzügig auszulegen – zugunsten ihrer Heimat. Auch Kanzler Kohl verhehlte am Donnerstag nicht, wo er die eigentlichen Verzögerer sieht. Er selbst, so meinte er ironisch, beobachte an den Bundesbeamten, „mit welch einer überströmenden Herzlichkeit die täglich über den Umzug nachdenken“.
Aber auch im Hinblick auf den Bonner Beamtenapparat gibt sich die Berlin Landesvertretung optimistisch. Wenn die „Kopfstellen“ der Ministerien erst einmal an die Spree umgezogen seien und in Bonn nur noch Verwaltungsarbeit zu erledigen sei, werde es auch für Bonner Beamte eine Frage des Prestiges, nach Berlin versetzt zu werden. Hans Monath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen