: Vergebliches Warten auf Rettung
■ Kampnagel: Helena Waldmann mit „Die Krankheit Tod“
Dreißig Vereinzelte auf der Reise unterm blutigen Segel, auf dem Rücken liegend wie Wehrlose: So präsentiert sich Helena Waldmanns neue Performance Die Krankheit Tod nach dem gleichnamigen Text von Marguerite Duras. Eine Versuchsanordnung für die Versuchsanordnung im Text. In den Zeilen der Duras bezahlt ein Mann eine Frau, damit sie sechs Nächte lang den Versuch der Liebe mit ihm wage und ihn, im Hinführen auf eine erste Gefühlsregung, vor sich selbst und dem Absterben seines gefühlstoten Körpers rette. Im Text scheitert der Versuch: Der Mann ist nicht in der Lage, die eigene Unfähigkeit hinter sich zu lassen; die Frau weigert sich, ihn zu retten – und ob sie es vermocht hätte, bleibt dahingestellt.
Anders als der Versuch im Text der Duras scheitert Helena Waldmanns Versuch einer dreidimensionalen Umsetzung des papiernen Dilemmas keineswegs.
Nachdem sich die Tür zur Halle K4 geöffnet hat, herrscht Überraschung in der kleinen Gruppe der Zuschauer: In der Saalmitte ein aufwendiges Metallgerüst, das eine sanft durchhängende milchig-durchscheinende Plastikplane hält. Darunter Platz für dreißig Liegende auf weißen Matten – die Zuschauer, die Betrachter der Agonie. Nach kurzer Dunkelheit ist die Protagonistin dann da: der Frauenkörper auf der Plane (Florence Perrin), in nackten Zuckungen durch blaue und rote Gelantine, deren Farben im raffiniert angelegten Licht so intensiv sind wie die Farben der Prismen eines Kaleidoskops. Im Lauf von 50 Minuten bewegt sich dieser meist mehr erahnte Körper vom einen Planen-Ende zum anderen, stellt ephemere Bilder in Erde, Sägemehl und eben Gelantine her, ein lebendes Kunstwerk in dauernder Veränderung, das – kunstgeschichtlich – vielleicht an etwas zwischen Yves Klein und den blutigen österreichischen Performances der 60er Jahre denken läßt.
Die Spur der Frau in Schlamm, Kleister und an Plasma erinnerndem Wackelpudding ist dabei alles andere als beliebig: Was der Text der Duras zu transportieren versucht – Liebe als Verlust, als Tod, den Tod im Körper, den Tod im Gefühl –, zeigt Helena Waldmanns Versuchsanordnung aufs eindringlichste. In der meditativen Stimmung zwischen Rückenlage, Musik (Hubert Machnik) und dem monoton vorgetragenen Text erinnert der lebendige Körper an Leichen in Plastiksäcken, das Leichentuch Christi, noch ungewaschene Neugeborene. Das Vorrecht des Textes ist dabei längst aufgehoben: Die Aufmerksamkeit schwimmt ähnlich zwischen den verschiedenen Eindrücken wie der Frauenkörper in der Gelantine. Im beeindruckenden Gesamtkunstwerk von Helena Waldmann gibt er oft nur die Richtung vor.
Thomas Plaichinger
Noch Dienstag bis Donnerstag, K4, 21 Uhr
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