piwik no script img

„Rock'n'Roll hat meinem Leben einen neuen Sinn gegeben“

■ Im Wehrschloß legte „Blumfeld“ letzte Bekenntnisse ab/ „Svevo“ aus Mainz erinnern sich an die Zeiten der „Pet Shop Boys“

Als ,,Blumfeld“ vor knapp drei Jahren ihr erstes Album ,,Ich-Maschine“ veröffentlichten, war die Musikpresse Feuer und Flamme, und die Erwartungen an weitere Aktivitäten waren hoch. Mit der neuen CD ,,L'etat et moi“ etablierte sich die Hamburger Band endgültig als Vorzeigegruppe No. 1 für links- intellektuellen Deutschpop. Weniger bekannt sind die Mainzer ,,Svevo“. Glaubt man aber den Rezensionen ihres Debüts ,,Eher uncool“, soll sich das bald ändern. Ihr Auftritt vor ,,Blumfeld“ am Samstag im Wehrschloß ließ das leider nicht erahnen.

Anstatt ordentlich Musik zu machen, jammerte man so ausführlich über die Fehlerhaftigkeit des Equipments, daß auch der letzte Laie irgendwann das kleine 1 x 1 der Bühnentechnik und ihrer Tücken begriffen hatte. Die Songs zwischen den Entschuldigungen dümpelten im gepflegten Mittelmaß herum. Immerhin ein Lichtblick war zu verzeichen: Als eigentlich ungebetene Zugabe spielten ,,Svevo“ eine erfrischend unverkrampfte deutsche Fassung des modernen ,,Pet Shop Boys“-Klassikers ,,Normally 1 Wouldn't That Kind Of Thing“ ohne sich jemals in die Niederungen der Parodie zu begeben.

„Blumfeld“ live zu sehen und zu hören, hieß ,,Blumfeld“ endlich zu verstehen. Auf ihren Tonträgern wirken Jochen Distelmeyer und seine Mannen oftmals wie Literaten, die nur Platten machen, weil Bücher sich nicht so gut verkaufen. Ein Satz wie ,,Rock'n'Roll hat meinem Leben einen neuen Sinn gegeben“ wirkt im uninstrumentiert gesprochenen Stück ,,L'etat et moi“ seltsam anachronistisch; dieses Bekenntnis klingt eher nach Bruce Springsteen als nach einer Band, die sich nach einer Kafka-Figur benannt hat. Live machte die Selbstaussage sowie einige andere vermeintliche Ungereimtheiten im musikalisch-textlichen Konzept plötzlich Sinn: ,,Blumfeld“ sind eine Rock-Band. Sie spielten ihre Songs druck- und kraftvoll, schwitzten, bewegten sich, ließen hin und wieder sogar ein ,,hey“ oder ,,yeah“ hören. Zu keinem Zeitpunkt kam im rappelvollen Wehrschloß jene betretene Hörsaal-Stimmung auf, die manch einer bei den intellektuellen Texten erwartet hatte. Über techni sche Komplikationen spielte das Quartett, das sonst ein Trio ist, souverän hinweg. Distelmeyer amüsierte mit lockeren Ansagen, skurilen Anekdoten und schlagfertigen Antworten auf Zwischenrufe. Die Zwischenrufe wie ,,Spielt doch mal netter“, ,,Mehr Text“ oder ,,Mehr Rock“ waren ohnehin ironischer Natur – das Publikum liebte ,,Blumfeld“. Und wer könnte eine Band nicht lieben, die hintereinander Patti Smith und Hole zitiert, Motörhead-Lemmy verehrt, weil er ohne zu gucken Baß spielen kann, und Sachen singt wie ,,Macht verrückt was euch verrückt macht“ oder ,,Über dem Regenbogen waren mir alle Sterne schnuppe“? Da konnte man die vereinzelten Griffe ins Abiturienten-Poesie-Album, die trotz allem nachwievor vorkamen, großmütig verzeihen. Rockbands dürfen das.

Andreas Neuenkirchen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen