: „Wir müssen ein neues Bewußtsein wecken“
■ Maria Falcone über gesellschaftliche Strategien gegen die Mafia und die Korruption
Maria Falcone, Schwester es ermordeten Antimafia-Ermittlers, unterhielt sich mit Haupt- und MittelschülerInnen des Sprengels Arenalla in Neapel über die Notwendigkeit eines breiten Bündnisses gegen die Mafia. Wir haben der Diskussion zugehört.
Frage: Palermos oberster Ermittlungsrichter Caselli hat gesagt, daß nicht die Staatsanwälte und die Polizei, sondern nur ein kultureller Wandel Erscheinungen wie die Mafia besiegen kann. Sehen Sie das auch so?
Maria Falcone: Natürlich ist auch Repression wichtig, zu sehr sind Mafia und Camorra bereits in die Staatsorgane eingedrungen, als daß man sie ohne Wegsperren noch ausrotten könnte. Aber den Menschen muß wieder klargemacht werden, wie viele ihrer eigenen alltäglichen Verhaltensweisen zum Vorankommen der Organisierten Kriminalität beitragen. Das reicht von einer Laxheit gegenüber den Gesetzen über das Verschweigen eigenen Wissens gegenüber Ermittlern und die Tendenz, sich im Zweifelsfall Vorteile im Beruf mit Hilfe dubioser Helfer zu verschaffen. Und es geht bis zur mangelnden Kontrolle der Regierenden. Wir müssen also ein neues Bewußtsein wecken – und das auf Dauer.
Wir haben nach der Ermordung meines Bruders und Paolo Borsellinos einen Aufstand der Menschen in ganz Italien erlebt und auch manche hervorragende Initiative im Ausland, doch all das flacht schon wieder ab. Wie vor mehr als zehn Jahren, als nach der Ermordung des Antimafia-Präfekten Dalla Chiesa die Menschen auf die Straße gingen. Als man die Mafia schon besiegt glaubte, erholte sie sich wieder.
Was meinen Sie mit Veränderung der Kultur?
Zuerst muß der Verfall der politischen Sitten gestoppt werden: Korruption gilt vielen noch als Kavaliersdelikt, Politiker lassen sich noch immer Spenden von Personen geben, deren Reichtum in vieler Hinsicht verdächtig ist. Ein Wandel ist in einigen ehemaligen Zentren mafioser Hegemonie schon eingetreten – etwa hier in Neapel, wo der neue Bürgermeister Bassolino Wichtiges leistet. Gleichzeitig muß den Jugendlichen klarwerden, daß sich im Kampf gegen Banden und Korruption nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen zwei Modellen des Zusammenlebens entscheidet – das der bürgerlichen Gesellschaft mit demokratischen Regeln, und das des Faustrechts der Bosse –, sondern ihr eigenes Schicksal. Sie müssen erkennen, was leider oft genug nicht klar genug herauskommt: Daß Bosse, auch wenn sie mal einem armen Schlucker zu Arbeit verhelfen, nicht moderne Robin Hoods sind, sondern erbarmungslose Gangster.
Viele Politiker, aber auch viele Polizisten sind dafür aber nicht gerade Vorbilder.
Andere sind es um so mehr. Wenn ich sehe, wie Palermo das Andenken meines Bruders verteidigt und sich auch durch Drohgebärden der Mafia – wie etwa die Zerstörung des Gedenksteins – nicht einschüchtern läßt, erkenne ich die große Wirkung, die die wenigen Mutigen gegenüber den anderen haben. Doch der Kampf ist bei weitem nicht ausgestanden, er hat eben erst begonnen und ist schon wieder in Gefahr, vergessen zu werden.
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