Die nackte Existenz

■ Carsten Jacobsens Holzfiguren in einem neuen Kunstraum

Unten tobt der Bär, eine steile Treppe höher bietet sich ein Raum der Beruhigung an, auch wenn die Musik noch dumpf durch die Wände tönt: In dem für Musikevents reservierten Teil der Markthalle am Klosterwall ist ein neuer Kunstraum eröffnet worden. Nichtkommerziell, also in taz- und kunstbekannter Selbstausbeutung, planen die Künstlerin Jutta Drewes und die Medienwissenschaftlerin Britta Peters ein Programm, das sich mit gleichen Öffnungszeiten den Konzertbesuchern ohne Schwellenangst anbieten soll. Noch vor dem Einzug der Galerien Hauptmann und Cato Jahns in die Räume zwei Stockwerke tiefer ist so das Kunstspektrum in der Meile vom Deichtor zum Ferdinandstor um ein Forum für bisher unbekannte Künstler erweitert.

Die erste Ausstellung gilt den Holzskulpturen des 1963 in Hamburg geborenen Carsten Jacobsen. In Punktbeleuchtung sind aus dem Dunkel des grau-violett-blauen Spitzdachraumes in geradezu minimalistischer Inszenierung 16 Stelen herausgehoben. In drei ordentlichen Reihen stehen auf je einer Eisenplatte vier grob belassene Holzbalken, präsidiert von vier kürzeren, auf dem fest eingebauten Podest der kleinen Halle und präsentieren nur wenige Zentimeter große, roh geschnitzte Figuren von nackten Menschen.

Die grobe Bearbeitung der Holzfiguren und ihres Sockels wird trotz der anderen Dimensionen Vergleiche mit Arbeiten des Karlsruher Bildhauer-Professors Stephan Balkenhol wecken. Doch dessen aus einem Werkstück samt Sockel gehauene Figuren sind nicht nur bekleidet, sondern auch meist von eher unbestimmt-selbstverständlichem Alltagstypus und üblicherweise mit stark betontem Kopf. Bei den Figuren von Jacobsen ist Haltung und Gestik viel dominanter. Sie definieren ein spezielles Körpergefühl, bieten mit relativ vergrößerten Geschlechtsteilen und Händen der Welt eine weniger kopfbetonte Anknüpfung. Sie bleiben auf ihrer winzigen Standfläche auf dem Pfahl und sind mit den anderen zwar auf gleicher Ebene, doch ganz von ihnen isoliert: ein aufs buchstäblich nackte Existenzminimum eingeschränkter Handlungsraum, der trotz der geringen Größe der Figuren ähnlich beängstigend ist wie die spindeldürren Bronzen von Giacometti.

Da sich alle Figuren in gleicher Höhe befinden, treten die stehenden und schreitenden dem Besucher in Augenhöhe entgegen, auf die vier liegenden sieht er aber von oben herab: eine geradezu exihibitionistisch-voyeuristische Position für den scheuen Künstler, der nach langen Selbstbefragungen im Medium des Selbstporträts mit dieser Serie zum ersten Mal an die Öffentlichkeit tritt. Man darf gespannt sein, was diese Initiative noch an unentdeckten Talenten zum Vorschein bringt.

Hajo Schiff

Kleiner Saal-Kunstraum Markthalle, Di-Sa 17-22 Uhr, So 15-22 Uhr, bis 17. Dezember, Eintritt frei.