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Castor kam nicht

■ Und seine GegnerInnen feierten mit Sekt, Freudentränen, Zaubertränken

Mit Fackeln und Lampions in den Händen stehen sie am Montag Abend dicht gedrängt auf dem Marktplatz von Lüchow und davor auf der Langen Straße. Ernst, aber unverzagt blicken die Castor-GegnerInnen zum Treppenaufgang des Ratskellers, auf dem die Rednertribüne plaziert ist. Ein Posaunenchor intoniert „Wach auf, wach auf, du deutsches Land. Du hast genug geschlafen.“ Dann spricht Marianne Fritzen für den Vorstand der Bürgerinitiative: „Wir haben hier nicht siebzehn, zwanzig Jahre gekämpft, um zwei Tage vor Ankunft des ersten radioaktiven Mülls zu kapitulieren“, sagt sie und fordert auf, sich dem Demonstrationsverbot zu widersetzen.

Um zwanzig vor sieben gehen die BI-Vorsitzende Susanne Kamien und die langjährige BI-Aktivistin Rebecca Harms, die heute für die Grünen im Landtag sitzt, ans Mikrophon. „Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht“, beginnt Rebecca Harms, „Zunächst die schlechte: Der Castor soll morgen in Philippsburg losfahren.“ Pfiffe, empörte Rufe, dann kommt Susanne Kamien mit der guten Nachricht: „Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat den Transport vorläufig gestoppt.“ Der ganze Platz jubelt, man fällt sich in die Arme, das sei ihr schönstes Geburtstagsgeschenk, sagt Susanne Kamien, Freudentränen auf dem Podium und im Publikum.

Kurz darauf heißt es, das Demonstrationsverbot, das der Landkreis am Ende schon für Montag abend am Zwischenlager verhängt hatte, gelte nicht mehr. Die für 21Uhr angesetzte Demo direkt vor dem Gorlebener Zwischenlager wird so zur Jubelfeier mit Sekt und „Vitamin-Zaubertrank“ aus einem großen Kupferkessel. Lagerfeuer brennen auf der Straße. Trommeln dröhnen. Die Jüngeren tanzen.

„Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein Teilerfolg“, sagt Rebecca Harms, und so wird die Gerichtsentscheidung an diesem Feier-Abend auch empfunden als Atempause von vielleicht einigen Monaten. „Es gibt inzwischen so etwas wie einen Flächenbrand“, schwärmt BI-Sprecher Wolfgang Ehmke, „wenn es sich hier wieder zuspitzt, dann werden wir noch einmal sehr viel mehr sein.“

Noch in der Nacht beginnt der Abzug der 5.000 Polizisten, die den Landkreis in ein Heerlager verwandelt haben. Ihr Einsatz hat nach einer Schätzung des niedersächsischen Innenministeriums zehn Millionen Mark gekostet. Bei der Sonderpressestelle der Polizei in Lüchow ist am Dienstag morgen nur noch der Anrufbeantworter geschaltet: „Mit Beschluß des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 21.11. ist der Castor-Transport vorläufig ausgesetzt. Unsere Pressestelle ist daher bis auf weiteres nicht mehr besetzt.“

Aber natürlich trauen die Castor-Gegner dem Frieden nicht. Das Castornix-Dorf am Zwischenlager bleibt weiter mit fünfzig Leuten besetzt, bis „der Behälter in Philippsburg wieder entladen ist“.

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