: Castorfrei für die Polizei
■ Angela Merkel ist sauer: Verwaltungsrichter stoppen Brennelemente-Transport nach Gorleben
Berlin (taz/dpa) – 5.000 Polizisten können nach Hause gehen. Sie werden im Wendland nicht mehr gebraucht. Niedersachsens Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) hat gestern das Demonstrationsverbot aufgehoben, das er am Wochenende für Bahngleise und Zufahrtsstraßen zum Atomlager von Gorleben erlassen hatte. Er will dem Bonner Umweltministerium die Rechnung für diesen Sondereinsatz schicken. „Frühestens im Dezember“, sagte Glogowski gestern in Hannover, könnte der nächste Versuch unternommen werden, abgebrannte Brennelemente in Gorleben einzulagern. Tatsächlich wird es dazu so schnell nicht wieder kommen. Atomkraftgegner Glogowski findet es für seine Beamten „nicht zumutbar“, in der Weihnachtszeit Demonstrationen in den Wäldern des Grafen Bernstorff zu verhindern. Mit einer Eilentscheidung hatte das Lüneburger Verwaltungsgericht am Montag abend den ersten Transport abgebrannter Brennelemente in das Atomlager von Gorleben angehalten. Zuviel sei beim Beladen des Castor-Behälters im Atomkraftwerk Philippsburg zurechtgebogen worden, finden die Richter, und völlig unklar sei, wer die technischen Improvisationen hätte genehmigen müssen.
Protestkundgebungen an den möglichen Transportrouten gerieten zu spontanen Freudenfesten. Ein schwerer Tag jedoch für Angela Merkel, die neue Umweltministerin in Bonn. Sie versteht die Welt nicht mehr – und hat fristgerecht Beschwerde eingelegt. Ihrer „Sicht des Lebens“ entspreche diese Gerichtsentscheidung nicht, sagte sie gestern. „Jedes praktische Handeln“, meint die diplomierte Physikerin, wäre ausgeschlossen, wenn verfahren würde, wie es das „sogenannte Verwaltungsgericht“ verlange. „Alle Eventualitäten“ könnten nun mal nicht vorausgesehen werden: „Wir sind überhaupt nicht der Meinung, daß da etwas gestoppt werden muß.“
Angela Merkel irrt. Wann das Oberverwaltungsgericht Lüneburg über ihre Beschwerde entscheiden wird, ist völlig offen. Solange kann der Castor nicht auf die Reise gehen. Niedersachsens Ministerpräsident Schröder hofft, daß auch Angela Merkel hinzulernen könnte. Mit diesem Transport „werden Fakten geschaffen werden, die das Entsorgungsproblem verschärfen“, sagte er der taz.
Eine Änderung der Bonner Atompolitik sei allerdings nicht erkennbar, warnt die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg und mahnt dringend zur Wachsamkeit. Schröder will nun versuchen, ohne die Bundesregierung Gespräche über einen neuen Energiekonsens einzuleiten. Am Tisch sitzen sollen dann Sozialdemokraten, Grüne, Gewerkschafter, Umweltschützer und Manager der Atomindustrie. Niklaus Hablützel Seiten 3 und 10
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