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Per Computer aus dem Stau

Richtig angewandt, können Computer den Verkehrsstau verhindern, meint das Institut für Zukunftsstudien / Vorstellung einer Studie: Armutszeugnis für Verkehrssenator Haase  ■ Von Hannes Koch

Auf der gestrigen Veranstaltung im Institut für Zukunftsstudien (IZT) erlebte man einen ratlosen Professor Rolf Kreibich. Obwohl der Chef doch soviel weiß. Nein, so etwas gebe es nicht in Berlin. Auch die IZT-Wissenschaftler Robert Gaßner und Roland Nolte, Mitautoren der soeben erschienenen Studie „Telematik und Verkehr“, schüttelten die Köpfe. Bei der computergesteuerten Verringerung des Autoverkehrs habe die Hauptstadt nicht viel zu bieten. Das wenige, was hier praktiziert werde, verursache eher noch mehr Blechverkehr. Die Vorstellung der Studie, einer umfassenden Analyse dessen, was heute in puncto Telematik bereits auf dem Markt ist oder sich noch in der Forschung befindet, geriet zum Armutszeugnis für Berlins Verkehrssenator Herwig Haase (SPD). Doch Kreibichs Wort in Haases Ohr: Richtig angewandt und in Kombination mit Behinderungen des Autoverkehrs könnten moderne Informations- und Kommunikationstechnologien durchaus ihren Beitrag zu einer „nachhaltigen“, sprich: umwelt- und menschenfreundlicheren Mobilität leisten.

In Berlin aber wird der elektronische Weg aus dem Stau vorerst im Parkhaus enden – per Auto versteht sich. Ab 1995 will der Senat im Bezirk Steglitz ein Verkehrsleitsystem installieren, das perspektivisch über die ganze Stadt von Adlershof bis Spandau ausgeweitet werden soll. Computervernetzte Anzeigetafeln am Straßenrand sagen den Automobilisten dann, in welcher Gegend kein Parkplatz mehr zu bekommen ist, welches Parkhaus leersteht oder von welcher Park-and-Ride-Station sie mit der S-Bahn schneller das Zentrum erreichen. Das Urteil des Instituts: Unter dem Strich kommt dabei keine Verringerung des Autoverkehrs heraus. Schließlich steigen nicht nur Leute auf den öffentlichen Nahverkehr um, sondern andere benutzen die Straßen gerade deshalb, weil sie plötzlich so schön leer sind.

Dasselbe gilt im Prinzip für die zweite kommunikationstechnische Neuerung auf Berlins Straßen, die ebenfalls 1995 den Crashtest bestehen soll. Ein privatwirtschaftliches Konsortium bietet allen AutofahrerInnen kleine Empfangsgeräte mit Display zum Kauf an („Copilot“, 2.000 Mark, monatliche Benutzungsgebühr 25 Mark), die von Sendern am Straßenrand Signale empfangen. So erfahren die FahrerInnen schnell von Staus, Demos, Unfällen und Wasserrohrbrüchen, die die Fortbewegung behindern, und werden über Schleichwege an ihr Ziel umgeleitet, das der freundliche Computer selbstverständlich kennt. Testergebnis des Instituts: „Dennoch konnten keine signifikanten Reisezeitgewinne, Wegeeinsparungen und Kraftstoffverbrauchs-Senkungen nachgewiesen werden.“ Weil der Verkehr wieder fließt, nehmen die zurückgelegten Wege um 5 Prozent zu.

Wie wird Telematik nun richtig gemacht? Stichwort ist hier das „Road-Pricing“, auf deutsch einfach: Abkassieren. Ein System ähnlich dem Copilot bucht von einer Scheckkarte, die im Autoempfänger steckt, die Straßenbenutzungsgebühr ab. Diese soll die Benzinfreunde davon abhalten, zum Beispiel in das Zentrum innerhalb des S-Bahn-Rings zu fahren. Je höher die Straßengebühr, desto sauberer die Luft und geringer der Krach in der City. Das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung meint, daß sich bei restriktiver Handhabung 10 bis 20 Prozent des motorisierten Individualverkehrs einsparen lassen – mehr als bei jedem anderen Computertrick.

Robert Gaßner und Kollegen vergaßen nicht, darauf hinzuweisen, daß die datenmäßige Verkehrslenkung nur dann zu einer entscheidenden Verringerung des Autofahrens führe, wenn sie Teil eines größeren Konzeptes sei. Dazu gehörten eben auch die Erhöhung des Benzinpreises, Busspuren, ein besseres Angebot im öffentlichen Nahverkehr und geringere Fahrtzeiten, die etwa durch Vorrangschaltungen der Verkehrsampeln für die Bahn erreicht werden könnten.

Nach dem Motto „Kilobyte statt Kilogramm“ kann Datenverarbeitung auch Geschäftsreisen durch Videokonferenzen ersetzen, bei der die GesprächspartnerInnen jeweils in ihren Büros sitzen und per Computer kommunizieren. 30 Prozent aller beruflichen Fahrten sind überflüssig, meint Zukunftsforscher Kreibich.

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