: Astaire auf Acid
Digitalisierter Slapstick: Russells „Die Maske“ – ein Film aus den vielbeschäftigten Großrechnern der Firma Industrial Light & Magic ■ Von Karl Wegmann
Steven Spielbergs Film „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ aus dem Jahre 1984 beginnt wie eines dieser alten MGM- Musicals. Mit Girls und Glitter und einer strahlend blonden Kate Capshaw die „Anything goes“ zu Gehör bringt. Die Szene spielt in Shanghai, und so wird der Text auf chinesisch gesungen. Den Song hatte Spielberg als Programm gedacht – alles ist möglich. Die berühmte Special-effects-Fabrik von George Lucas, „Industrial Light & Magic“ (ILM), sollte Spielbergs großmäulige Behauptung beweisen, sie spielte bei der Herstellung seiner Abenteuerburlekse eine entscheidende Rolle. So wurde der Film denn auch vollgestopft mit den modernsten Tricks, haufenweise FX-Firlefanz eben, und trotzdem, Spielbergs Prahlerei blieb eine freche Lüge. Es war eben nicht alles möglich. Heute jedoch, zehn Jahre später, sieht die Sache anders aus.
Auch bei Charles Russells „Die Maske“ spielte ILM, beziehungsweise das neue Tochterunternehmen Lucas Digital, eine entscheidende Rolle. Die Vorlage des Films ist ein amerikanischer Dark- horse-Comic, eine düstere und stellenweise recht blutrünstige Angelegenheit, aber eigentlich nichts anderes als eine von hundert verschiedenen Variationen des Superheldenmärchens. Doch Regisseur Russel und seine Produzenten machten nicht den gleichen Fehler wie die Macher von „The Shadow“ (der gerade weltweit floppte). Die hatten versucht, Sprechblasen und Akteure exakt zu adaptieren. „The Mask“ dagegen wurde umgekrempelt, heraus kam eine völlig durchgedrehte Komödie. Die Knallschote Jim Carrey („Ace Ventura – Ein tierischer Detektiv“) spielt, sichtlich angestrengt, weil mit gebremstem Schaum, den schüchternen Bankangestellten Stanley Ipkiss. Ipkiss' Leben ist ungefähr so aufregend wie das eines Goldfisches im Kugelglas. In seinem Schreibtisch in der Kreditabteilung bunkert er Schweinchen-Dick- Heftchen, in seiner freien Zeit spielt er mit seinem Terrier Milo Frisbee, hockt in seiner kleinen Wohnung herum, glotzt TV, liest Comics, träumt und langweilt sich zu Tode. Doch dann schlägt das Schicksal erbarmungslos zu. Zunächst in Form der üppigen Blondine Tina Carlyle (Cameron Diaz). Die steuert in der Bank Ipkiss' Schreibtisch an, und prompt versagt sein Deodorant. Von der versteckten Kamera in Tinas Handtasche, mit der ein Bankraub vorbereitet werden soll, bekommt Ipkiss nichts mit, im Gegenteil er verliebt sich unsterblich. Um seine Angebetete wiederzusehen, fährt er abends zum exklusiven Coco Bongo Club. Doch einem Niemand wie ihm wird der Eintritt prompt verweigert. Auf der Heimfahrt verreckt dann sein Auto. Als der Pechvogel aussteigt, meint er im Wasser eine Leiche treiben zu sehen. Er findet aber nur Abfall und – eine Holzmaske. Ipkiss kann jeden Mist gebrauchen, er steckt das Ding ein. Zu Hause im Fernsehen verbreitet eine Psychologin die Binsenwahrheit, wir alle trügen Masken, metaphorisch gesprochen. Ipkiss ist inspiriert, setzt seine Fundsache aufs Gesicht, und ab geht die Luzie.
Zwei Dinge passieren gleichzeitig: Zum einem wird Zappelphilipp Jim Carrey, dieser „Jerry Lewis mit einer Supernova in der Hose“ (Newsweek), endlich von der Leine gelassen, zum anderen kommen die ILM-Rechner zum Zuge. Die Geschichte ist vergessen, sie war eh nicht wichtig. Was jetzt kommt, ist digitalisierter Slapstick, computergenerierte Blödelei, Gaga-Humor bis zum Gehtnichtmehr. Ipkiss verwandelt sich mit der Maske in einen außer Kontrolle geratenen Tornado, einen grüngesichtigen Freak mit Superkräften und allen anderen Attributen einer Tex- Avery-Cartoon-Figur. Er zieht eine Bazooka aus seiner Hosentasche, bläst herzförmige Rauchringe, läßt seine Zunge meterlang heraushängen, frißt pfundweise Dynamit, und beim Anblick seiner geliebten Tina fällt ihm die Kinnlade auf den Tisch, die Augen springen aus den Höhlen, und er wird zum heulenden Comic-Wolf. Selbstverständlich macht er sämtlichen Gangstern den Garaus und bekommt das Mädchen, ist dabei aber immer schön subversiv. Geld besorgt er sich nachts aus der Bank, und zwar säckeweise, seiner nervenden Vermieterin schlägt er die Wohnung zu Klump, und ein riesiges Polizeiaufgebot verwickelt er in einen Rumba-Showdown.
Ist das alles witzig? Ja, ist es! Big Fun! Vor dem Bombardement der visuellen Gags findet keiner Deckung, Jim Carrey („Ich spiele Fred Astaire on Acid“) ist einfach nur zum Schreien, und wer beim Finale, in dessen Verlauf die Maske mehrmals den Besitzer wechselt, nicht die Kontrolle über seine Gesichtszüge verliert, ist entweder tot oder Bankangestellter. Apropos Finale. Hier hat auch Terrier Milo (Max) seinen großen Auftritt, und er ist so gut, daß selbst der Spiegel die Töle für einen „Favoriten im Rennen um den Oscar für die beste Nebenrolle“ hält.
Die meisten Lacher können natürlich die Special effects einheimsen. Längst haben wir uns daran gewöhnt, daß die Computerspielereien für Spielfilme immer perfekter werden, geraten aber doch immer wieder ins Staunen, mit welch rasender Geschwindigkeit die Entwicklung auf diesem Gebiet vorangeht. Die Verwandlung eines Menschen in Metall und umgekehrt in „Terminator II“ vor drei Jahren noch als Wunder der Special effects gefeiert, sieht heute aus wie ein billiger Taschenspielertrick. „Im Prinzip können wir alles machen, was die Phantasie hergibt“, behauptet Wes Takahashi von ILM, „das Problem ist, daß das, was wir gerade machen, eigentlich schon längst wieder überholt ist.“ Schwierigkeiten entstehen durch die immensen Rechnerzeiten der Computer. Die Hardware kann mit der Softwareentwicklung nicht schritthalten. „Wir können nur tagsüber arbeiten“, so Takahashi, „nachts brauchen die Computer ihre gesamte Kapazität, um die Daten durchzurechnen.“ Um ein einziges filmisches Bild (Länge 1/24 Sekunde) zu erzeugen, müssen über 10 Millionen Bildpunkte (Pixel) bearbeitet werden. Das heißt nicht weniger als 20 Megabyte Speicherplatz. Für eine ganze Szene benötigen auch die schnellsten Großrechner Tage, selbst wenn sie 24 Stunden durchlaufen. Das ist teuer. Für „Die Maske“ konnte ILM acht Millionen Dollar einsacken.
Stan Winston, der ILM-Mitarbeiter, der für die Tricks in „Jurassic Park“ zuständig war, weist darauf hin, daß gerade Live-Action und Computeranimation, wie sie auch für „Die Maske“ kombiniert wurden, sich inzwischen so gut ergänzen, daß sie jeweils das andere absolut glaubwürdig machen. In „Forrest Gump“ wußten die Zuschauer, daß es, so perfekt es auch aussah, unmöglich war, daß Tom Hanks längst verstorbenen Präsidenten die Hand reicht. In der Velociraptor-Küchensequenz aus „Jurassic Park“ blickt niemand durch. Sie besteht aus 33 Einstellungen, in 25 davon sitzt entweder ein Schauspieler im Saurierkostüm oder das Urviech ist eine bewegliche Puppe, acht Einstellungen sind reine Computeranimation. Wer könnte sagen, was was ist? „Vielleicht meinen die Zuschauer, sie wissen, was läuft“, sagt Winston, „aber das stimmt nicht. Das ist eine der Szenen, die ihnen sagt: ,Sorry, aber Sie wissen nicht, was sie sehen.‘“ Bei der „Maske“ hatten die ILM-Cyberpunks noch erheblich mehr Spaß als beim Reptilien- Spektakel, denn „es ist viel unterhaltsamer, ein Jahr lang Jim Carrey zuzusehen, als zwei Jahre darüber zu brüten, wie akkurat der Hintern eines Dinosauriers wippen muß.“
Für solch ein „unglaubliches“ Know-how interessieren sich nicht nur Hollywood-Studios. George Lucas flattern immer wieder Aufträge des amerikanischen Verteidigungsministeriums ins Büro, während der Vorbereitung zum Golfkrieg wurde seine Firma regelrecht zugeschüttet mit Anfragen. Ipkiss sei dank hat Lucas sich stets geweigert, derartige Computermanipulationen außerhalb der Werbe- und Unterhaltungsbranche vorzunehmen. Aber es gibt ja noch andere Firmen, die auf dem gleichen Gebiet forschen und arbeiten. Deshalb lautet eine Botschaft der „Maske“: Trauen sie den Abendnachrichten nicht mehr, Steven Spielberg hatte doch recht – anything goes!
Charles Russell: „Die Maske“, mit Jim Carrey, Max, Cameron Diaz u.a.; USA 1994; 101 Min.
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