■ Die Nato greift erneut nahe Bihać an
: Modell Goražde für Bihać

Auch die zweite Angriffswelle der Nato auf serbische Stellungen in Nordwestbosnien bedeuten keineswegs eine Parteinahme für die verzweifelt um ihr Überleben kämpfenden 180.000 Menschen in der Enklave um Bihać. Die Begründung der Nato, der Angriff auf die Raketenstellungen der bosnischen Serben bei Otaka wäre allein dem Umstand geschuldet, daß Flugzeuge der Nato von dort aus beschossen wurden, ist reine Zweckmeldung. In Wahrheit wird versucht, die serbische Seite davon abzuhalten, die Stadt Bihać selbst militärisch zu erobern. Die Gefahr, daß dann ein Massaker angerichtet würde, wäre in diesem Falle doch zu groß, und die Blamage für UNO und Nato würde nicht mehr zu verbergen sein.

Wenn nun kein anderer als der (unselige) britische EU-Verhandler Lord Owen sich wieder zu Wort meldet und die serbische Seite warnt, Bihać-Stadt anzutasten, liefert er die Schlußfolgerung gleich mit: Nato und UNO werden nichts unternehmen, wenn das Restgebiet der Enklave erobert würde. Eine „Lösung“ nach dem Modell Goražde stünde dann bereit. Die UNO-Truppen sorgten nach dem Abschluß der serbischen Offensive für die Entwaffnung der in der Stadt Bihać zusammengedrängten Verteidiger. Von der dann von UNO-Truppen kontrollierten „Schutzzone“ ginge keine Gefahr mehr für die serbischen Angreifer aus. Die gesamte Region wäre dann „befriedet“ und unter serbischer Kontrolle. Die Flüchtlinge würden durch befreundete Staaten aufgenommen – Deutschlands Flüchtlingslager sind ja sowieso halb leer. Eine langwierige „Verhandlungslösung“ wäre in diesem Falle nicht mehr nötig.

Die Luftangriffe der Nato verweisen auf den faulen Kompromiß, der nach dem Krach innerhalb der Nato zwischen Großbritannien und den USA ausgehandelt worden ist. Zwar drängen die Amerikaner (nach außen) immer noch darauf, die bosnischen Verteidiger weit stärker zu unterstützen und in das Kampfgeschehen direkt einzugreifen. Solange die USA jedoch nicht bereit sind, Bodentruppen zu schicken, sitzen die britische und französische Regierung mit ihrer Politik am längeren UNO- und Nato-Hebel.

Noch aber gibt es Unwägbarkeiten. So könnte die serbische Seite doch versucht sein, die Stadt Bihać selbst zu erobern, so könnten die dort stationierten und schlecht bewaffneten Unprofor-Soldaten aus Bangladesch (Muslime) im Überschwang des Erfolges direkt attackiert werden. Aber sicherlich wird der UNO-Führung im Einklang mit den Europäern auch dann etwas einfallen, ihre „überparteiliche Strategie der Befriedung“ durchzusetzen. Erich Rathfelder