Keine Niederlage für die Bluter

Schadensersatzklage eines HIV-infizierten Bluters wurde abgeschmettert / Urteil ist dennoch ein Erfolg / Gericht bestätigt Amtspflichtverletzung bei der Überwachung von Blutprodukten  ■ Von Manfred Kriener

Berlin (taz) – Der HIV-infizierte Bluter Wilfried Breuer ist mit seiner Klage gegen die Bundesrepublik abgeblitzt. Das Landgericht Aachen wies gestern seine Schadensersatzforderungen zurück. Dennoch bedeutet das Urteil für Bluter, die sich über Blutprodukte mit dem HI-Virus infizierten, keine Niederlage. Im Gegenteil: Das Gericht stellte ausdrücklich fest, daß das Bundesgesundheitsamt Mitte der 80er Jahre „zögerlich und wenig konsequent“ bei der Überwachung von Blut und Blutprodukten vorgegangen sei. Pharmaindustrie und Überwachungsbehörden hätten aus dem Contergan-Skandal nichts gelernt. Das Gericht stellte zudem in Aussicht, daß Bluter, die sich später mit dem Aids-Virus infiziert haben, durchaus Chancen mit einer Klage hätten.

Entscheidend für die Ablehnung der Musterklage von Breuer, der Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Hämophilen ist, war sein relativ früher Infektionszeitpunkt. Der 43jährige hatte sich bereits im September 1983 mit dem Aids-Virus angesteckt. Zum damaligen Zeitpunkt, argumentierte das Gericht, sei die Aids-Gefahr für die Kontrollbehörden noch nicht übersehbar gewesen.

Bluter, die sich erst 1984 oder 1985 durch HIV-verseuchte Blutprodukte angesteckt haben, könnten dagegen auf den Erfolg einer Klage hoffen, erklärte Richter Norbert Henseler. Zu diesem Zeitpunkt sei das Aids-Risiko nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bekannt gewesen.

Der Kläger bewertete die Urteilsbegründung gestern als „wegweisend“. Die Frage der Amtspflichtverletzung des BGA sei vom Gericht eindeutig bejaht worden. Breuer, der drei Kinder hat, hatte den Staat auf Zahlung von 158.000 Mark verklagt.

Die vom Aachener Landgericht formulierten Erfolgsaussichten könnten eine Lawine an Klagen auslösen, falls eine politische Lösung des Bluterskandals weiter auf sich warten läßt. Gegenwärtig muß befürchtet werden, daß ein großer Teil der Bluter die politische Lösung nicht mehr erleben wird. Nach neun-, zehn- oder elfjähriger Infektion erkranken immer mehr Betroffene am Vollbild der Krankheit Aids. „Wir sind ständig mit Todesfällen konfrontiert“, sagte gestern Ute Braun, die Vorsitzende der Deutschen Hämophiliegesellschaft. Damit nicht jeder einzelne persönlich klagen muß, sei es dringend notwendig, daß der Bundestag schnell zu einer Lösung komme.

Derzeit erhalten betroffene Bluter aus dem Soforthilfefonds 1.000 Mark pro Monat. Erst beim Ausbruch des vollen Krankheitsbildes wird der Betrag auf 2.000 Mark angehoben.