: Kein Harakiri am Rothenbaum
■ HSV-Präsident Ronald „Ronny“ Wulff spricht über Bilanzen, Bagger und Bundesligastadien
Am Montag findet die Jahreshauptversammlung des HSV statt. Keine Frage – die Stimmung wird prächtig sein, kann der Bundesligist doch eine gute Bilanz vorweisen (siehe nebenstehend). Einzig die Kampfabstimmung zwischen Vizepräsident Hans Schümann und seinem Herausforderer, dem Amateur-Obmann Horst Eberstein, könnte für Unruhe sorgen. Ronald Wulff, der seit einem Jahr Präsident ist und sich erst 1995 zur Wiederwahl stellen muß (und will), ist sich sicher, daß „es ruhig zugehen wird“. Zuvor jedoch sprachen Stefan von Leesen und Clemens Gerlach mit dem HSV-Chef (Lieblingsspruch: „Da bin ich Realist.“), der bis zum Interview die taz hamburg nicht kannte.
taz:Wie fühlt man sich als erfolgreichster HSV-Präsident aller Zeiten?
Ronald Wulff: Ich weiß gar nicht, ob ich das bin. Wir legen aber die erfolgreichste Bilanz vor, die der HSV je hatte.
Noch besser als unter Dr. Wolfgang Klein?
Das war die sportlich erfolgreichste Zeit (1979, 1982 und 1983 Deutscher Meister, Europapokalsieger 1983; die Red.). Es wurde damals mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Momentan sind wir sportlich nicht ganz so erfolgreich, dafür aber gesund.
Welchen Anteil hat daran ihr Vorgänger Jürgen Hunke?
Daß Herr Hunke den HSV saniert hat, hat er einem Glücksgriff zu verdanken. Nur durch die Verpflichtung von Thomas Doll (der 1993 für 17 Millionen Mark zu Lazio Rom wechselte; die Red.) war es möglich, den HSV zu entschulden. Ich weiß nicht, ob ich bei damals ungefähr zwölf Millionen Mark Schulden noch das Risiko eingegangen wäre, über zwei Millionen zu investieren.
Sanierung mit Glück und ohne Konzept.
Nach dem Doll-Transfer waren wir schuldenfrei und sind mit dem Geld ordentlich umgegangen. Wir haben Konzepte entwickelt und diese durchgezogen: Sparsamkeit und organisatorische Dinge.
Kann man so zur deutschen Spitze aufschließen?
Wir wollen, nur müßten wir Spieler wie Sammer oder Chapuisat holen. Eine Garantie, daß es klappt, hat man dennoch nicht, aber die Möglichkeit ist größer. Das bedeutete jedoch, Schulden in Höhe von 20 oder 30 Millionen Mark zu machen. Dazu bin ich nicht bereit.
Und wie wollen Sie ihren Shoot-ingstar Jörg Albertz halten?
In diesem Fall würden wir auch mehr zahlen als normalerweise. Ich bin bereit, ein überschaubares Risiko einzugehen, aber kein Harakiri. Ich würde auch mit ein oder zwei Millionen Mark minus auf dem Konto hantieren.
Das bedeutet konkret?
Wir werden um Albertz kämpfen. Wenn aber Borussia Dortmund ihn verpflichten will, dann bieten die soviel, bis wir nicht mehr mithalten können. Dennoch steigen wir in den Vertragspoker mit ein, weil wir ihn unbedingt halten wollen. Wir wollen wieder in einen internationalen Wettbewerb.
Fehlt noch die passende Arena.
Man muß nicht immer das Volksparkstadion schlecht reden. Wenn ich das dauernd mache, kommen keine Zuschauer. Kaiserslautern und Dortmund spielen aufgrund ihres Publikums zuhause quasi mit zwölf Mann.
Der HSV also nur zu zehnt.
Solch eine Unterstützung fehlt hier natürlich und die Stimmung verpufft, weil zwischen Mannschaft und Zuschauer im Grunde 100 Meter Distanz sind. Die Atmosphäre ist wegen der Laufbahn schlecht. Bei uns kommt nur eine Bombenstimmung auf, wenn mindestens 40.000 Zuschauer da sind.
Die Probleme haben Sie nicht mehr, wenn die Mehrzweck-Arena auf dem Heiligengeistfeld steht (ein Stadion für 55.000 Zuschauer und eine Halle für 15.000; die Red.).
Träumen dürfen wir alle. Ich habe im Januar gesagt, daß an der Glacischaussee (die später untertunnelt werden soll; die Red.) der ideale Platz für so ein Projekt ist, damit Investoren sich beteiligen. Ich bin jedoch Realist: An dieser Stelle wird nie ein Fußballstadion durchkommen.
Warum so skeptisch?
Wenn wir international spielen, sind Fans aus Holland oder England in fünf Minuten in der Innenstadt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Senat das macht.
Und die Hooligans?
Das ist weniger geworden.
Es kursieren noch immer Aufkleber aus der HSV-Hooligans-Szene, die sich gegen den FC St. Pauli richten: „Die rote Blase aufstechen“ oder „Vorsicht Zecken“.
Mit solchen Leuten kann ich mich nicht solidarisieren. Dann müssen Sie sich aber auch die St. Pauli-Zeitschrift durchlesen, die Journalisten diffamiert und auch HSV-Fans. Man muß auch über die St. Pauli-Fans reden, denn die haben das Länderspiel im Volksparkstadion zum Scheitern gebracht (das vielfach kritisierte und daraufhin wegen Sicherheitsbedenken von der Innenbehörde abgesagte Länderspiel gegen England, das am 20. April, dem Geburtstag Hitlers, stattfinden sollte; die Red.). Ich kann das nicht nachvollziehen, wenn sich HSV- und St. Pauli-Fans gegenseitig diffamieren.
Gibt es keine Möglichkeit, solche Fan-Gruppierungen aus dem Stadion rauszuhalten?
Wenn einer sich brutal benimmt, kriegt er Stadionverbot. Wenn Hooligans Krawall machen, holen wir die aus dem Stadion raus. Aber wer soll das immer kontrollieren?
Bei St. Pauli gibt es eine gewisse Eigendynamik. Fans, die auffallen, auch wegen ausländerfeindlicher Sprüche, kommen gar nicht mehr rein, weil die anderen das nicht zulassen.
Das finde ich gut, aber ich persönlich habe schon gehört, wie sie den Manzi diffamiert haben. Ich habe das Gefühl, Ihr versucht hier den HSV und St. Pauli und die Fans auseinander zudividieren. Dazu bin ich aber nicht bereit.
Wir auch nicht. Statt dessen würden wir lieber wissen, warum der HSV ein so unrealistisches Mammutprojekt unterstützt.
Ich unterstütze in Hamburg jedes Projekt, das der Bevölkerung zugute kommt. Hier ist ja nicht nur an Fußball, sondern auch an Konzerte, Ausstellungen, Büros und Wohnungen gedacht.
Die Anwohner finden das nicht so toll.
Ob wir in Bergedorf oder am Millerntor ein Stadion bauen, ist egal – irgendwo gibt es immer welche, die dagegen sind. Das war bei der Sportanlage Tegelsbarg in Poppenbüttel nicht anders. Der Streit hat Hamburg Millionen gekostet, weil es einer älteren Dame nicht paßte, daß dort Sport getrieben wird.
Sie können doch Poppenbüttel nicht mit einem 70.000 Mann-Projekt in St. Pauli vergleichen. Wir fragen uns, wie man überhaupt auf so eine Idee kommen kann.
Es ist kein 70.000 Mann-Stadion geplant, da sind Sie schlecht informiert.
Sondern ...
Es ist dort ein 50.000 Mann-Stadion geplant. Der FC St. Pauli will auch auf 30.000 erweitern – und auf 20.000 kommt es auch nicht mehr an.
St. Paulis Vizepräsident, Christian Hinzpeter, hat erst kürzlich in der taz gesagt, er wolle eine sozialverträgliche Lösung für das Millerntor. Das geplante Stadion ist das Symbol einer Bedrohung.
Jeder versucht, seine Interessen durchzusetzen, Herr Hinzepter genauso wie ich. Wir kommen nicht weiter, wenn wir sagen „da ist jemand dagegen, dort ist jemand dagegen“. Wir müssen endlich anfangen, alle an einem Strang zu ziehen, und sagen „wir wollen und sind alle kompromißbereit“.
Suchen Sie den Kompromiß mit St. Pauli?
Es gibt keine Pläne, das hat man mir auch schon angekreidet. Ich gehe gerne zum Millerntor und habe guten Kontakt zu einigen Spielern.
Würden Sie gerne eine gemeinsame Perspektive entwickeln: „Fußball in Hamburg 2000“?
Man muß die persönlichen Interessen hintenan stellen und die gemeinsamen sehen. Ich bin als Präsident des HSV immer bereit, im Sinne der Hamburger Bevölkerung, nicht im Sinne des HSV, sondern aller.
Vielleicht sind die Pläne ja bald hinfällig, denn der Senat will angeblich das Volksparkstadion modernisieren lassen.
Der Senat hat erkannt, daß Hamburg, wenn nicht dringend etwas passiert, zur absoluten Sportprovinz wird. Der Senat muß sich entscheiden, ob er Großereignisse im Sport noch will. Wenn wir jetzt nicht etwas machen, dann ist es vorbei.
Geht es nach dieser Saison los?
Das halte ich für unwahrscheinlich. Vom Tag an, wenn der Senat sagt „die Finanzierung ist gesichert, wir fangen morgen an zu bauen“, dann haben wir in gut zwei Jahren ein fußballgerechtes Stadion.
Für das vom HSV gepachtete Rothenbaum-Gelände sieht es auch nicht rosig aus. Dort sollen Wohnungen hin.
Ich glaube nicht, daß am Rothenbaum ein Drittel Sozialwohnungen gebaut werden – das ist Augenwischerei.
Hat der HSV nicht jahrelang geschlafen?
Wir haben Anfang der Achtziger den Rothenbaum geistig aufgegeben. Als der HSV Europacupsieger war, hätte ich gesagt „so meine Herren, wir sind wer in Hamburg, da muß was passieren: neuer Pachtvertrag und Modernisierung“. Nun gibt es einen Senatsbeschluß und bei den derzeitigen politischen Verhältnissen wird dort gebaut. Wir können dagegen nichts machen, da bin ich Realist. Hier sollen Sozialwohnungen entstehen und der HSV kann nicht dagegen sein – sind wir auch nicht. Aber ich habe die Aufgabe als HSV-Präsident, bis zum ersten Bagger zu kämpfen.
Ist das typisch für Sie? Wie sehen Sie sich als Präsident?
Ich versuche, das Machbare von den Träumereien zu trennen.
Greifen Sie eigentlich in sportliche Belange ein?
Überhaupt nicht. Ich bin seit 1980 durchgehend in leitenden Positionen im Fußball, angefangen in Hohenhorst, Barsbüttel und HSV. Eines habe ich nie gemacht und werde ich auch nie – dem Trainer in sportliche Belange reinreden.
Bei Manager Heribert Bruchhagen sind Sie nicht so zurückhaltend.
Woher wissen Sie das? Ich habe zu ihm ein sehr gutes Verhältnis und werde mich niemals, negativ über einen Angestellten des HSV in der Öffentlichkeit äußern.
Wer hat nun das Sagen?
Das fängt beim Präsidenten an bis zum Präsidium. Danach wird gearbeitet.
Sie geben die Richtlinien vor.
Wir wissen schon, was gemacht werden muß. Aber alle Erfolge, die wir haben, die machen wir gemeinsam.
Es gibt Leute, die das nicht glauben wollen und sie für „geltungssüchtig“ halten.
Das ist nicht richtig. Ich drängele mich nicht um Fernseh- oder Foto-Termine. Ich bin froh über jedes Fernseh-Interview, das ich nicht geben muß. Ich habe nicht darauf hingearbeitet, HSV-Präsident zu werden, das hat sich ergeben. Irgendwo findet man das auch toll, wenn das funktioniert, nur manchmal, wenn es zuviel wird, muß man sich wirklich fragen „warum mach' ich das eigentlich noch“?
Warum?
Weil es immer wieder Idioten geben muß, die das machen. Warum macht ein Sozialarbeiter seine Arbeit? Oder eine Krankenschwester? Die machen das nicht nur aus Spaß, sondern weil sie darin eine Notwendigkeit sehen und aus Liebe zum Beruf. Die machen verdammt schwere Arbeiten. Der Fußball hat mir in meiner Jugend viel gegeben und warum soll ich dem Fußball nicht etwas zurückgeben, wo es mir gut geht?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen