: Pfennigbanden und Brause
■ „Verletzungen“: Zeitzeugen berichten über ihr Leben um 1945
„Fragen Sie doch meinen Mann. Ich hab doch nichts erlebt.“ Das war oft die erste Reaktion, die die Mitarbeiterinnen des St. Pauli Archivs erfuhren, als sie Frauen aus dem Viertel über ihre Kriegserfahrungen befragen wollten. Die Aussagen jener Frauen, die sich dann doch bereit erklärten, über ihre Erlebnisse zu berichten, und anderer Zeitzeugen sind die Grundlage des Buches Verletzungen – Lebensgeschichtliche Verarbeitung von Kriegserfahrungen, das jetzt bei Dölling und Galitz erschienen ist.
Wie haben die Hamburger den Krieg erlebt, wie werden sie mit ihren Erinnerungen fertig, welchen Einfluß nahmen diese auf ihr weiteres Leben? In den zwölf Beiträgen des Buches kommen viele zu Wort: Damalige Mitglieder der Eimsbüttler „Pfennigbande“, die dafür von den Nazis schikaniert wurden, daß sie sich an Straßenecken trafen, Überlebende des KZ's Neuengamme oder Kinder jüdischer Eltern, deren Eltern ihr Leben lang über das Erlebte mit ihnen nicht sprechen konnten. Dadurch entstehen sehr unterschiedliche Beiträge, aber diese Uneinheitlichkeit macht den Reiz dieses Buches, wie wohl der Methode der Oral history überhaupt aus.
Diese Art der Geschichtsforschung mit Zeitzeugen vor Ort, in den siebziger Jahren entwickelt und von der klassisch-konservativen Historikerzunft kritisch beäugt, wird vor allem in der außer-universitären Forschung, etwa den Geschichtswerkstätten, praktiziert. Oral history ist subjektiv, weil aus der Perspektive der Betroffenen berichtet wird, und kann keinen „objektiven“ historischen Wahrheitsgehalt präsentieren. Aber diejenigen, die Oral history betreiben, sind sich dessen in der Regel bewußt – so wie die Autorinnen und Autoren dieses Buches.
Im persönlichen Rückblick etwa verlaufen die Epocheneinteilungen ganz anders: So war für die Frauen aus St. Pauli 1945 keine alles entscheidende Zäsur, weil die Entbehrungen für sie in der Nachkriegszeit zunächst kaum geringer wurden. Männer spielten in den Berichten dieser Frauen kaum eine Rolle. Höchstens als Mittel zum Zweck: Eine bekam nur 50 Pfennig Lohn in der Woche – weil die Brause aber schon 35 Pfennig kostete, beschloß sie, sich einen Freund anzuschaffen.
Aber das Buch erschöpft sich nicht in der Darstellung des Gewesenen, die Gefahr laufen könnte, sentimental zu werden oder vor lauter Betroffenheit kein Urteil mehr zustande zu bringen. Eine ausführliche Einleitung weist auf die Grenzen und Möglichkeiten der Oral history und speziell dieses Projektes hin. Und auch in den einzelnen Beiträgen wird immer wieder eingeordnet, argumentiert und kommentiert.
Birgit Maaß
„Verletzungen“, herausgegeben für den Hamburger Arbeitskreis Oral history von Ulrike Jureit und Beate Meyer, Dölling und Galitz, 214 Seiten, 34 Mark
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