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■ Vom Nachttisch geräumtBürgerlicher Agitprop

Alexander Popes 1733 erschienener „Essay on Man“ ist eines der berühmtesten Lehrgedichte der Weltliteratur. Generationen nicht nur englischer Schüler wurden damit traktiert, konnten die mehr als 1.300 Verse lange Dichtung auswendig. Das schmale Buch ist einer der Grundtexte der europäischen Aufklärung, ein Band, in dem Bürgerlichkeit sich selbst feiert. Das macht seinen Reiz aus. Popes Diktion reizte immer wieder die Nachahmer. „The proper study of mankind is Man“ oder „To reason right is to submit“. In der deutschen Literatur erinnert Schillers Hang zur Redensart sehr an Popes Verse.

Es gab eine Zeit, in der lachte man nicht über Sprüche, sondern man liebte sie. Wer Lebensregeln in Verse band, war ein großer Dichter. Wir neigen dazu, nur die komische Seite daran zu sehen. Wir übersehen leicht, daß wir es bei Pope mit einer Art bürgerlichem Agitprop zu tun haben. Sätze wie „Absurd ist's, nennt man einen Schurken groß“ hatten einen rebellischen Akzent in einer Welt, in der die Großen von Geburt an groß waren. Wer „An honest Man's the noblest work of God“ mit „Ein edler Mensch ist höchste Gottesgab“ übersetzt, hat die Pointe verfehlt. Bei Pope sind die Aufrichtigen die Edlen; Anstand adelt, nicht Geburt. Der antifeudale Zungenschlag kam gut an.

Etwas anderes war aber vielleicht noch wichtiger für Popes Erfolg: sein in propere Sentenzen gefaßter pantheistischer Enthusiasmus. Die Begeisterung darüber, daß einem alles zu seiner Seligkeit dienen muß, ist keine aufklärerische Marotte, sondern charakterisiert die meisten Aufschwungphasen der Geistesgeschichte. Bei Pope spricht sie sich aus in leicht memorierbaren, einander beflügelnden Versen. Es gibt Abschnitte darin, da fällt die Fertigteilästhetik der gestanzten Sentenzen weg, man atmet durch und glaubt zu spüren, wie von der Unter- bis zur Oberwelt alles und alle einander die goldenen Eimer reichen. Daß er beides hat: den Bratenrock des Gelehrten und den offenen Kragen des Enthusiasten, das machte Pope einer Epoche unwiderstehlich, die davon überzeugt war, daß das Wahre, das Schöne und das Gute zusammengehen.

Eberhard Breiderts Übersetzung transportiert nur wenig davon. Die Sentenzen, die bei Pope wie locker aus dem Füllhorn geworfen wirken, klingen angestrengt und erfreuen allenfalls durch eine ungewollte Komik: „Instinkt wie Sorge erst sein Ende find't, / sobald die jungen Tiere flügge sind.“ Die Phrasen des Aufschwungs bis zu dem von den Zeitgenossen so heftig debattierten Credo „Whatever is, is right“ sind klanglos. Es fehlt ihnen das mitreißende Brio Popes. Und damit alles, was ihn verständlich macht.

Alexander Pope: „Vom Menschen“. Englisch/deutsch. Übersetzt von Eberhard Breidert, mit einer Einleitung herausgegeben von Wolfgang Breidert. Felix Meiner Verlag 1994, 140 Seiten, 48 DM

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