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Rumpelstilzchens Running Gags

■ Christoph Marthalers "Der Eindringling" und Castorfs durch Bandscheiben- und andere Vorfälle verzögerte Premiere "Die Sache Danton" an der Volksbühne

Kurz vor Beginn tritt Rumpelstilzchen an die Rampe. Nicht mal Pinkeln gehen könne Henry Hübchen nach seinem gestrigen Bühnenunfall, verkündet der Intendant, also müsse er, Frank Castorf, wohl als Danton herhalten. Der große Pubertator im historischen Kostüm mit vorgebundenem Bauch, Perücke und grellorangen Strumpfhöschen, in der Hand das Textbuch.

Sein Danton-Projekt beruht auf einem dreihundertseitigen dramaturgischen Monstrum der jung verstorbenen Polin Stanislawa Przybyszewska, die, vom Stoff derart fasziniert, gleich drei Stücke zur Revolution verfaßte. Als Rockstars wolle Castorf ihre Heroen auf die Bühne bringen, ist im Dramaturgentext zu lesen, Robespierre, Danton und Desmoulins als Jim Morrison, John Lennon oder Kurt Cobain, die Umwälzung als Popereignis, Köpfeabhacken als Koksersatz: „Live fast, love hard, die young.“ Schnelle, harte, junge Kerle sind allerdings nicht zu sehen, eher eine abgekämpfte Altherrenversammlung.

1789 als müde Party, die trotz oder gerade wegen der penetranten Bemühungen des in letzter Minute engagierten Alleinunterhalters nicht in Gang kommen will: Mit dem Mut der Verzweiflung schmeißt sich Castorf ins Geschehen, tritt als berlinernde Knallcharge die zumindest in der ersten Stunde unterhaltsame Flucht nach vorn ins Schmierentheater an. Ein rührender, nervender, wackliger Popanz, der auch ohne Tempo extemporiert, die tapfer weiterspielenden Kollegen aus dem Rhythmus bringt oder die Suche nach dem auseinanderfleddernden Manuskript zum Running Gag ausbaut. Doch bald ist unerheblich, ob mit oder ohne Absicht dahingeschlampt wird. Die Unschärfe langweilt.

Das ständige Gehampel, der fast verbiesterte, demonstrative Dilettantismus stumpfen ab, lassen die Revolution irgendwo zwischen Didi Hallervorden, Karnevalsverkrampfung und dem Warten auf den nächsten Tusch versickern. Zudem wird „Die Sache Danton“ von der üblichen Palette Pennälerwitze strukturiert: Von der Sudelei zur Bumserei, von der Suppenschleuderei zur Schmiererei, von der Schreierei zur Spuckerei, von der Pinkelei zur Prügelei usw. In Castorfs körperlichem Erscheinen ballt sich die Quintessenz seiner Regie. Jauchzend verfolgt der Saal den emsig mitschmierenden, umsichspritzenden Intendantenkasper.

In der sich über viereinhalb Stunden dahinschleppenden Personality-Performance wird er zur schlagend banalen Inkarnation eines immergleichen Inszenierungsprinzips, das sich gern als subversiv behauptet. Tatsächlich steht das Gerangel am Rosa-Luxemburg- Platz nur scheinbar im Gegensatz zum von Castorf gern bildungsbürgerlich genannten „ernsthaften“ Theaterritual mit aufklärerischem Grundgestus, das den Kartoffelsalat noch nicht als dramaturgischen deux ex machina entdeckt hat. Geistige Verwandtschaft mit den affirmativen Lügen des Fronttheaters wurde letzterem kürzlich vom Volksbühnen-Dramaturgen Carl Georg Hegemann in Theater der Zeit unterstellt. Dem setze man ein „destruktives, verletzendes“ Theater entgegen. Nur: Wer wird dabei verletzt? Schon seit Jahren werden die Castorf-Capricen vom bildungsbürgerlich infiltrierten Theaterpublikum genauso begeistert beklatscht wie von lederbejackten Zeitgenossen in Berlin-Mitte. Gemeinsam applaudiert man bequem zurückgelehnt im Bewußtsein selbstzufriedener Progressivität.

Zugegeben, das wertkonservative Feuilleton bleckt im müden Reflex ab und zu die Zähne, doch destruktiv ist nur die Pose am Rosa-Luxemburg-Platz, das Geschehen auf der Bühne bleibt vage und belanglos. Harmlose Spielchen im Sandkasten des Kultursenators, so revolutionär und aufregend wie Einkaufen im Ökoladen. Letztlich ist der kichernde Kartoffelsalatkonsens genauso kleinkariert wie die schweigende Ergriffenheit vor dem hehren Bühnenkunstwerk oder das Sit-Com-Gelächter im Theater am Ku'damm.

Bleibt nur noch Marthaler. Dem konturlosen Gewurschtel setzt er die messerscharfe Präzision entgegen, dem albernen Altherrenwitz die schleichende Subversivität. Auch in seiner dritten Volksbühnen-Inszenierung hat er sich dem Warten verschrieben. Nicht dem Ab-Warten oder dem Warten auf ein Ereignis, geschweige denn dem metaphysischen Warten auf Gott, Godot oder das Ende der Welt. Vielmehr dem Warten im Reinzustand, dem unbefleckten Warten, jenseits des Er-Wartens, ungetrübt von der Möglichkeit eintreffender Ereignisse. Marthalers Warten ist ein Warten, das nur aufs Warten wartet. In „Der Eindringling“, seiner von Valentin-Sketchen und einem Maeterlinck-Einakter inspirierten Inszenierung, wartet ein Orchester auf den Beginn der Probe, die nie stattfinden wird. Zunächst beschäftigt man sich mit dem Einrichten der Notenständer, indes der Orchestergraben, wo nach Aussage des Orchesterwarts einst der berühmte Clemenzo de Tito und sogar der große Gustav Wagner auftraten, dröhnend auf- und niederfährt.

Während sich die tückischen Metallkonstruktionen zu immer groteskeren Gebilden formen, debattieren die Damen und Herren über Harnblasenentzündungen, die Renaissance des alten Volkslieds oder Seelenwanderung, schieben sich Mäusekadaver zu, rauchen Wasserpfeife, giften sich an und finden beim gemeinsamen Singen zu ungeahnter Harmonie. Vor dem Hintergrund des sich fortlaufend selbst transzendierenden Wartens geraten Marthalers pedantisch inszenierte Banalitäten zum großen Welttheater. Genau das Gegenstück zu Castorfs wichtigtuerischer Attitüde, die im Unbedeutenden verläppert.

Die Probe als ewiger Vorlauf zur Probe könnte ewig so weitergehen, doch plötzlich verlassen die Musiker ihren Graben, begeben sich in den dunkel getäfelten Bühnenraum von Anna Viebrock, treten über in die düsteren Gefilde des Maeterlinckschen Symbolismus. Schauplatz ist ein lebendiger Familienfriedhof. Um den Tisch versammelt wartet man mit dem blinden Großvater auf die Ankunft einer Verwandten. Wie Variationen eines Musikstücks werden die immergleichen Versatzstücke eines Dialogs wiederholt. Nichts stört die morbide Paralyse, auch nicht das unvermutete Ringelreihen oder der Entengang, mit dem ein Onkel unversehens den Tisch umrundet.

Nach der fünften oder sechsten Gesprächsschleife ist man dem Anspruch der Marthalerschen Philosophie des Wartens nicht mehr gewachsen, sehnt unverschämt den Schluß herbei. Dennoch schade, wenn er dann wirklich eintrifft. Eines Tages wird uns Marthaler über dieses, unser kleingeistiges Warten aufs Ende hinausführen. Dann, wenn wir ihn wirklich, endlich begriffen haben, werden auch wir im Publikum gemeinsam nur noch auf das Warten warten können. In einer endlosen Marthaler-Meditation, auf einem theatralischen Nirwana. Katja Nicodemus

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