piwik no script img

Raus aus dem Plutoniumkarussell

■ Die HEW wollen aus der Wiederaufarbeitung aussteigen / Geheimstrategie sieht statt dessen Atommüll-Lagerung in Frankreich vor Von Marco Carini

Die Zeit drängt. Steigen die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) nicht bis zum Jahresende aus den sogenannten Neu-Verträgen mit den Wiederaufarbeitungsanlagen im britischen Sellafield und in La Hague (Frankreich) aus, wird's teuer. Statt 222 Millionen Mark, so behauptet die GAL bislang unwidersprochen, müßten die HEW ab Januar 1995 370 Millionen Mark Vertragsstrafe im Ausstiegsfall zahlen.

„Die HEW will aus den Verträgen raus, das Plutonium-Karussell verlassen“, betont der Hamburger Umweltsenator und HEW-Aufsichtsratsvorsitzende Fritz Vahrenholt. Denn die Wiederaufarbeitung, bei der kiloweise Plutonium – giftigster Stoff der Welt und Atombombenbaumaterial zugleich – anfällt, ist um ein Vielfaches teurer als die Endlagerung: 3,3 Milliarden Mark, so weist ein internes Papier der Energieversorger aus, könnten die deutschen Stromproduzenten durch den Umstieg einsparen. Doch Ende 1994, so Vahrenholt, sei für Hamburg die Chance vorbei, aus der Plutoniumwirtschaft auszusteigen, ohne „astronomische Poe-nalzahlungen“ auf den Tisch blättern, sprich: Vertragsstrafen zahlen zu müssen.

Ein schnellerer Ausstieg aber scheitere daran, daß bei Kündigung der Wiederaufarbeitungs-Verträge auch der im Atomgesetz geforderte Entsorgungsnachweis für die Atommeiler in Krümmel und Brunsbüttel verlorenginge. Krümmel müßte vom Netz, Brunsbüttel könnte seine Ruhepause auf ewig ausdehnen. Doch diese Gefahr besteht zur Zeit nicht: Nach Informationen des Kieler Energieministeriums spielen die WAA-Neuvertäge selbst 1995 in den Entsorgungsnachweisen für Krümmel und Brunsbüttel noch gar keine Rolle. Das Abschaltungs-Szenario ist allenfalls Zukunftsmusik.

Mitte November ließ Vahrenholt auf dem „Internationalen-Energie-Forum“ in Hamburg zudem durchblicken, es sei „nicht unmöglich“, von den Wiederaufarbeitern die gewünschte Fristverlängerung zu bekommen, durch die auch 1995 noch die Vertragsauflösung zum Billigtarif möglich sei. Doch eine Fristverlängerung für die HEW, die die Betreiber der Anlagen in Sellafield und La Hague dreistellige Millionenbeträge kostet, ist für die Aufbereiter ohne Gegenleistung nicht attraktiv. Diese könnte darin bestehen, daß die Plutoniumschmieden von den Deutschen Stromversorgern in Zukunft gegen Bares als Atommüllzwischenlager zweckentfremdet werden.

Nach Greenpeace-Informationen verhandeln die HEW – im Verbund mit den anderen bundesdeutschen Energieversorgern – zumindest mit ihren französischen Vertragspartnern derzeit über ein Konzept, nach der die WAA zukünftig die angelieferten Alt-Brennstäbe nicht ohne Rücksprache mit den Anlieferern aufarbeiten dürfen. Die wollen im Regelfall ihr Veto einlegen und die Aufarbeitung stoppen.

Der deutsche Atommüll wäre durch diesen Trick ins Ausland verschoben und dort auf unabsehbare Zeit – im Gespräch sind mindestens 15 Jahre – untergebracht. Rechtliches Problem: Französische Atomrichtlinien verbieten eine mehrjährige Lagerung von ausländischem Atommüll. Die Zwischenlagerung müßte somit getarnt werden.

Die Anti-Atombewegung begrüßt zwar den geplanten „Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung“, doch das neue Zwischenlagerungs-Konzept stößt auf wenig Zustimmung. Dirk Seifert, Energiereferent der GAL: „Die Atommüllprobleme, die in Deutschland nicht lösbar sind, werden so ins Ausland abgeschoben. Wenn hier keine sichere Endlagerung möglich ist, gibt es nur eine Alternative: Ausstieg aus der Atomenergie.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen