: „Die Grausamkeit hat große Reserven“
■ Lars Gustafsson über Amerika, seinen Übertritt zum Judentum und sein neues Buch „Die Sache mit dem Hund“
Der schwedische Autor Lars Gustafsson wurde in Deutschland Mitte der 70er durch seinen Romanzyklus „Risse in der Mauer“ berühmt, in dem fünf Protagonisten mit dem Vornamen Lars versuchen, ihre Lebensläufe aus den Sackgassen herauszubugsieren. Ihr Motto: „Wir geben nicht auf. Wir fangen noch einmal an.“
Nachdem er bereits 1979 an der Universität von Texas Gastdozent gewesen war, verlegte Lars Gustafsson 1983 seinen Wohnsitz ganz nach Austin, wo er seitdem Philosophie unterrichtet.
Sein neuester Roman „Die Sache mit dem Hund“, jetzt in Deutsch erschienen, handelt von einem texanischen Konkursrichter, der einen Hund erschlagen hat, einem großen Hochwasser, das die Ufergrundstücke des Colorado River bedroht, und dem Fall des belgischen Dekonstruktivisten Paul de Man, dessen wiederaufgetauchte antisemitische Texte die akademische Welt in zwei moralische Lager spalteten.
taz: Ihr neuer Roman „Die Sache mit dem Hund“ spielt nach langer Zeit nicht in Schweden, sondern in einer texanischen Flußlandschaft und auf dem Campus einer amerikanischen Universität. Wie amerikanisch ist denn dieser Roman des schwedischen Autors?
Lars Gustafsson: Ich wollte ein Buch schreiben, das in Amerika spielt, aber nicht touristisch ist. Die texanische Hauptstadt Austin, in der ich lebe, ist für Europäer gewissermaßen ein exotischer Handlungsort. Aber ich mußte eine lange Zeit, zwölf Jahre, hier leben, bis der Alltag vertraut war.
Der eigentliche Grund war meine Frau, die in Texas Rechtsanwältin ist. Ohne sie hätte ich nie über diese Leute schreiben können. Sie war lange Anwältin in einer Kanzlei, die mit den Konkursfällen der Sparkassen in den späten 80ern zutun hatte. Und so ist der Konkursrichter Caldwell entstanden. Abgesehen von dem immergrünen Rasen und einem Poolreiniger, was wohl typisch ist für die amerikanische Mittelklasse ist, ist die Handlung auch universell.
Neu sind aber in einem Gustafssonschen Text die vielen Leichen.
Richter Caldwell hat diesen widerlichen Köter erschlagen, der jeden Morgen den Inhalt seiner Mülltonne auf dem Rasen seines Nachbarn ausbreitet, so daß er die Essensreste wieder zusammenklauben muß. Da würde jeder irgendwann durchdrehen, das kann man noch nachvollziehen. Der alte Mann hat sich wahrscheinlich selbst umgebracht, und bei der anderen Leiche weiß man es nicht so genau. Das Interessante daran ist, daß der Richter, als er den Hund erschlägt, eher ein Glücksgefühl empfindet. Es schien mir, daß in Bezug auf die moralische Kategorie die Grausamkeit große Reserven hat.
Wo lagen die Herausforderungen beim Schreiben?
Das Schwierige war wohl diese moralische Kategorie. Das Gute und Böse sind ja hier Nachbarn im Menschen. Das ist wie Schweizerkäse. Die sonst sehr praktische Aufteilung der Welt in Gut und Böse wird in meinem Roman nicht angewandt.
In ihrem neuen Buch scheint die größte Konfusion zu herrschen. Der alte Konkursrichter hat völlig die Orientierung verloren und kann zwischen Gut und Böse kaum noch entscheiden.
Die Irritation, die dahinter steht, spielt eine zentrale Rolle in allen meinen Büchern, die Frage: –Wer bin ich?– Es gibt einen Text von Borges über Shakespeare, den ich immer sehr bewundert habe. Da sagt er: Am Ende seines Lebens ist ein Mann alle Männer gewesen. Er ist König Claudius gewesen, er ist Prinz Hamlet gewesen und er ist King Lear gewesen, er ist alles gewesen nur er selbst nicht – denn in der Mitte ist es leer.
Und so ist es ja in der Tat mit Shakespeare. Die Biographie wird etwas dünn, wenn es zu der Frage kommt: „Wer ist Shakespeare?“Man weiß nur, er soll ein ganz angenehmer Mensch gewesen sein, er trank gern Bier, aber schon an wen sich die Sonette richten, wissen wir nicht. Im Innern wird es ganz leer. Aber das kommt öfter vor bei Schriftstellern.
Und wie gehen die anderen Figuren ihres Roman damit um?
Eine Gegenfigur zum Richter ist dieser Philosophieprofessor Jan van de Rouwers, der ein bißchen nach Paul de Man gebildet ist. Auf der einen Seite hat er mal eine feine moralische Wirkung auf seine Schüler gehabt, auf der anderen Seite hat er diese Vergangenheit. Wir machen ja alle Fehler, aber das Schlimme bei ihm ist, er hat nie davon erzählt.
Mit der Paul de Man-Debatte scheint zum ersten Mal Politik und Gegenwartsbezug in ihren Romanen Einzug gehalten zu haben?
Es gab auch früher ein bißchen Kritik am schwedischen Sozialstaat, der Roman „Wollsachen“ zum Beispiel erzählt von den paternalistischen Tendenzen in Schweden. Das deutsche Publikum nimmt das nicht so wahr. Das ist sehr intessant. Wieviel Politik gibt es bei Dostojewski, die wir nicht sehen? Für mich selbst habe ich eher das Gefühl, daß die politischen Fragen von den philosophischen abgelöst werden.
Schon, aber ist das nicht allzu philosophisch gedacht? Bei einer Figur wie dem Jan van de Rouwers, der durch seine Artikel die Nazis im besetzten Belgien unterstützt hat, ist das zu tolerieren?
Der Vorwurf gegen Paul de Man, der ja in der Tat weniger geschrieben hat als meine Figur, Derrida behauptet das jedenfalls, ist ja, daß er nichts davon gesagt hat.
Dem Richter Caldwell fällt an dieser Stelle ein, daß er Jude ist.
Er fühlt sich angegriffen
Sie selbst sind zum Judentum übergetreten.
Meine Frau ist Jüdin. So war das erstmal ein Beitrag zu unserem Leben in Texas und den Kindern. Aber ich spürte doch auch, irgendeine Religion muß der Mensch wohl haben und dann ist es einfacher, nur mit einem Gott zu kämpfen als mit dreien.
Fragen: Susanne Raubold
Lars Gustafsson liest heute Abend um 20 Uhr in Hannover, Georg- Buchhandlung, Georgstr.52
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