piwik no script img

Kräne wie Sand am Meer

An Kränen gibt es keinen Mangel, aber keiner weiß, wie viele sich derzeit in Berlin drehen, und keiner will wissen, was mit ihnen einmal passiert  ■ Von Uwe Rada

Geht es um Superlative, sind die Männer vom Bau um keine Antwort verlegen. „Nirgends gibt es soviel Kräne wie in Berlin“, trompetet stolz ein Bauarbeiter an der Friedrichstraße und ist sich mit den Mannen vom Bausenator einig: „Berlin ist die Hauptstadt der Kräne.“ Eine Hauptstadt, die keinen Vergleich scheut: „Wenn sich schon in Leipzig 700 Kräne drehen“, hebt Kranmeister Steinhauer von der Baufirma Hochtief an – und läßt es dann mit dem Halbsatz bewenden. Seine Firma, meint Steinhauer, „hat fünfzig Kräne in Berlin zu stehen“. Das sind dreimal soviel wie derzeit an der Friedrichstraße, aber immer noch zehn weniger, als im Frühjahr 1996 auf der Daimler-Baustelle am Potsdamer Platz tanzen werden.

Blühende Stahllandschaften, rosige Aussichten für die Kranhersteller. Während die Büropreise ins Bodenlose fallen und so mancher Developper auf die Nase, montieren die Kranbauer, was das Zeug hält. „Kapazitätsprobleme“, sagt die Verkäuferin des Tempelhofer Kranverleihers Brandt, „gibt es nicht.“ Kaum ein Kran stehe länger als ein Jahr auf einer Baustelle, Rücklauf und Neuverleih funktionierten reibungslos und geliefert werde binnen fünf Tagen. Über 850 Turmdrehkräne für zwischen 2.000 und 22.000 Mark monatlich stehen bei Brandt, Vertragshändler des Krangiganten Liebherr, zum Verleih oder Mietkauf. Schwerpunkte des Baugeschehens seien derzeit Berlin, der Kölner Raum und Sachsen.

Dies ist für die Berliner ungewöhnlich genug. „Kräne statt Pläne“ war lange Zeit das Stoßgebet, das die bauboomheischenden Politiker gen Himmel schickten. Nun drehen sie sich, und alle staunen und reiben sich die Augen, wenn ein Kranführer sein Wasser gen Tiefe abschlägt, als ob sich Unvorstellbares vollziehe am Himmel über den Baustellen. Kaum haben die gelben Turmkräne den Braunbären als Berliner Wahrzeichen abgelöst, steigen fachsimpelnde Touristen, faszinierte Metropolenkritiker und fassungslose Familienväter auf die Aussichtsplattformen an der Friedrichstraße und starren auf das Dickicht in den Baugruben und die Drehkranwälder. Sie finden, daß die Weihnachtssterne an den Krangerüsten an die Miniaturen ihrer Kindheit erinnern.

Wahre Bauklötze (be)staunen die Baustellentouristen seit zwei Tagen am „Kontorhaus“ Mitte in der Friedrich- Ecke Kronenstraße. In einer Stahlbox wird ein Monteur fünfzig Meter nach oben gehievt, um die Steuerketten eines Spezialkrans zu verschrauben. Die Box hängt an einem der 32 Autokräne der Firma Kroll, die derzeit allerorten unterwegs sind, um die Turmkräne aufstellen zu helfen. „Über zehn Transporte“, erzählt ein Kroll-Mitarbeiter stolz, „braucht man, bis man die Einzelteile eines Turmkrans erst mal an der Baustelle hat.“ Der Aufbau dauert dann, je nach Größe und Baualter des Krans, anderthalb bis drei Tage.

Der Kran am Kontorhaus ist freilich nicht vom Verleih, er gehört, wie fünfzig weitere Turmkräne, der Firma Heitkamp. Aber auch die kleinen der Branche haben ihre eigenen Kräne auf den Lagerplätzen. Bei der Firma Züblin stehen derzeit zwölf Kräne, sieben weitere warten auf ihren Einsatz. „Was darüber hinausgeht“, so ein Züblin-Sprecher, wolle man leasen. „Gibt's irgendwann 'ne Flaute, geben wir die Kräne zurück, ansonsten bezahlen und behalten wir sie.“

Weniger vorsichtig disponieren die Branchenriesen. „Fast alle Kräne, die wir in diesem Jahr aufgestellt haben, sind neuwertig“, sagt der Leiter der maschinentechnischen Abteilung der Firma Holzmann, Kuppler. Holzmann hat zur Zeit etwa vierzig Kräne in Berlin, fast dreihundert sind es im gesamten Bundesgebiet. „Ab und an“, so Kuppler, „steht zwar mal ein Kran aus dem Bundesgebiet zur Verfügung, „doch das sind die Ausnahmen.“

Daß es in Kürze einen Engpaß in der Kranherstellung geben könnte, glaubt er ebensowenig wie der Schreckensvision, daß die Baufirma einmal auf ihren 500.000 bis eine Million Mark teuren Monstern sitzenbleiben könnte. Anders sieht das allerdings ein Mitarbeiter der Firma Kroll. „Wenn erst mal die Flaute kommt“, sagt er und zieht an seiner Zigarette, „stehen die Dinger rum wie Sauerbier.“

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen