: Agnelli mit Heiligenschein
Die heutigen Kleinkriege lohnen sich nicht mehr: Der Fiat-Konzern trennt sich von Waffenfabriken und will damit sein Image verbessern ■ Aus Rom Werner Raith
Wenn Gianni Agnelli, auf Lebenszeit ernannter Senator der Republik Italien, auf die Zukunft zu sprechen kommt, umflirrt seine Augen ein Anflug weltentrückter Prophetie. Da träume er dann, gesteht er seinen Zuhörern, „von einem Weltkonzern, der es sich endlich leisten kann, nur positiv zu planen, der alle Kriegswaffenproduktion einstellen und trotzdem florieren“ könne, alles in allem – der ausschließlich an „einer besseren Welt arbeiten“ würde.
Vor kurzem gab der 74jährige Patriarch bekannt, jetzt sei es, fast jedenfalls, soweit: Europas größter Familienkonzern mit zeitweise fast einer Viertelmillion Beschäftigten und einem Jahresumsatz um die 100 Milliarden Mark trenne sich von allen seinen Waffenfabriken. Verkauft werden sollen Anlagen zur Herstellung von Minen und Granaten, Raketen und Torpedos, Werften für Kriegsschiffe und Produktionsstätten für Jagdflugzeuge. Angeboten oder bereits verkauft sind die Anteile an Whitehead (Abschußanlagen für Unterwassermarschkörper) mit einem Jahresumsatz von gut 65 Millionen Mark, die AESN Alesia Elsag (hochseetaugliche Waffenbestückung) mit über 350 Millionen Mark jährliche Einnahmen.
Abgegeben wurde auch die Valsella (Teller- und Seeminenherstellung), die in der Vergangenheit recht unrühmlich bekannt wurde, weil sie Millionen ihrer Explosionskörper in den Nahen und Mittleren Osten verscherbelt und dazu beigetragen hatte, daß Teile des Iran und des Irak und des Meeres bis heute hochgefährliche Gebiete sind. Eine der Erfindungen der Valsella war die „Verletzungsmine“, die in aller Regel nicht tödlich wirkt, aber die Menschen grauenhaft verstümmelt – nach Meinung der Heerführer trägt ein Krüppel mehr zur Depression eines kriegsführenden Volkes bei als ein Toter.
Noch vor Weihnachten, „als Überraschung unterm Tannenbaum“ (L'Espresso), soll nun auch die Simmel Difesa abgestoßen werden, eine Munitionsfabrik, die von Gewehrpatronen bis zu Granaten alles herstellt, was irgendwie irgendwohin abzufeuern ist. Selbst Firmen zur Herstellung von kugelsicheren Westen – die auch zum Schutz für Polizisten oder gefährdeten Privatpersonen eingesetzt werden – will Agnelli nicht mehr in seinem Imperium sehen. „Hat der alte Fuchs plötzlich humane Anwandlungen?“ fragt il manifesto; das Satiremagazin Cuore sieht ihn auf dem „Kurs zur Heiligsprechung“.
Tatsächlich stehen handfestere Überlegungen hinter dem Schachzug. Fiat versucht das Image des skrupellosen Rüstungskonzerns aus der Blütezeit des Kalten Krieges abzstreifen. Mehr als die Hälfte der Umsätze stammten mitunter nicht aus dem Autobau, sondern aus der Waffenproduktion. Nach Jahren des Mißtrauens in die Abrüstung hat die Rezession zu Beginn der 90er Jahre die Manager überzeugt, daß die Zukunft im Bereich eindeutig für den Frieden und das Wohlergehen der Menschen gebauter Produkte und nur noch marginal in der „Rest-Rüstungsproduktion“ liegt: Lokale Konflikte, Bürgerkriege, aufrüstende Scheichs und waffennärrische Despoten sind zwar noch immer für den Absatz von Schießgerät und Explosivstoffen gut. Doch das alles ist nichts im Vergleich zu der Auf- und Nachrüstung der 60er/80er Jahre und dem darin eingebauten automatischen Verschleiß durch „Veraltung“.
So sucht Fiat nun Profil wieder im Autobau – durch energiesparende Motoren, Sicherheitseinrichtungen in Kleinautos, Diebstahlserschwerung und so weiter. Ausdrücklich begrüßt wird, wenn bei Aktionärsversammlungen die Chefs großer Umweltschutzverbände – wie kürzlich Ermete Realacci, Chef der Legambiente – das Management nach einer „Klärung der Verhältnisse zum Minenhersteller Valsella“ auffordern. Agnelli höchst persönlich nimmt den Ball auf und verspricht sofortige radikale Trennung – „obwohl wir mit der Gründerfamilie seit ewigen Zeiten befreundet sind“.
Das ist auch hier wieder einmal die vom Hause Agnelli altgewohnte Show: So wie Fußballer des Agnelli-Clubs Juventus bei schlechtem Benehmen vom patriarchen Gianni höchstpersönlich gerüffelt oder gar aus den Mannschaft genommen werden, so dient auch der Verkauf der Waffenschmieden vor allem Imagestrategien. Tatsächlich wird vor allem abgestoßen, was sowieso kaum mehr trägt, was besonders schlechte Kritiken bekommt und was noch nicht zu absehbarer Marktreife gediehen ist.
Behalten will Agnelli dagegen vieles von dem, was tagtäglich in den menschenverschleißenden Kleinkriegen in Jugoslawien und Ruanda, in Äthiopien und Indien eingesetzt wird: Panzerwagen – leichte und schwere – aus der Firma Iveco zum Beispiel, Truppentransporter, rampentragende Laster für Raketenbasen. Dazu kommt die immer noch weitergetriebene Fertigung von „intelligenten“ Raketenleitwerken, von kriegstauglichen Radargeräten und Aufspürsensoren für Flugabwehrschießstände.
Kommt die Sprache auf derlei „Überbleibsel“, setzt Gianni Agnelli wieder ein Lächeln ins runzelige Gesicht: „Alles auf einmal kann man nicht abstoßen.“ Was nicht rentiert, kann man. Und der Rest? Den wird man abstoßen, wenn auch er unrentabel ist. Bis dahin aber wird noch einmal kräftig verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen