: Wenn der Vater ohne Sohn ...
■ Auf adventlichen Spielzeugmessen braucht Papi den Stammhalter längst nicht mehr als Alibi, um sich eine Eisenbahn zu schenken Von Iris Schneider
Nein, wir trauern ihr nicht nach, der „guten alten Zeit“. Wer erinnert sich nicht an bewegte Weihnachtsfeste, wo der Filius - selten die Filia - am Heiligabend eine Modelleisenbahn unterm Christbaum fand. Schon am ersten Weihnachtstag war dann meist Schluß mit der kindlichen Freude. Schnell hatte Vater seinem Sprößling klargemacht, was für eine komplizierte und obendrein empfindliche Sache eine elektrische Eisenbahn ist. Wenn Sohnemann die Fallerhäuschen zusammenkleben durfte, war das ein großer Vertrauensbeweis. Bei den meisten Jungs reichte die väterliche Toleranz nur bis zu den grünen Streuseln, die sie als Kunstrasen auf die Grundplatte streuen durften. Und selbst Mutter blieb nicht verborgen, daß der Gatte sich in dem Jahr vor allem selbst beschenkt hatte.
Heute müssen Männer zwischen 27 und 47 Jahren diesen Umweg über das Kind nicht mehr gehen. Längst sind sie als potente Kunden enttarnt. Verkaufsmessen, die so verlockende Namen wie „Toydorado“ tragen, befriedigen die Nachfrage. Gerade in der Vorweihnachtszeit bietet sich hier die Gelegenheit zur Selbstbefriedigung der Wünsche. Ganz ungeniert schieben denn auch Männer in den „besten Jahren“ ihre Bäuche durch die dichtgedrängten Stände auf der Spielzeugmesse. Kinder sind kaum zu sehen, vereinzelt interessieren sich auch Frauen und Jugendliche für das Angebot.
Natürlich wollen die Herren mit den Sachen nicht spielen, sie sind Sammler! Als Einstiegsdroge gelten seit einigen Jahren die Figuren aus den Überraschungseiern. Sie sind besonders bei Frauen ein begehrtes Sammelobjekt. Bis zu 50 Mark legen die modernen JägerInnen für die kleinen Plastikdinger auf den Tisch. „Nun sag doch mal, welche von den happy dinos wir noch nicht haben!“ Ungeduldig dreht sich die Mutter zu ihrer halbwüchsigen Tochter um. Leo (9) wird auch ganz unruhig, aber aus anderen Gründen: „Kuck mal, acht Mark für so 'ne Figur! Die sind jetzt in den Eiern drin. Da kosten sie bloß eine Mark und Schokolade hat man auch noch dabei.“ Tja, mir wird auch ganz schlecht, wenn ich bedenke, welche Werte ich da in den letzten acht Jahren dem Hausmüll überantwortet habe.
Mainzelmännchen und Figuren aus Comic-Serien sind auch noch im unteren Preissegment zu finden. Für Matchbox-, Viking-Autos oder Dinky-Toys allerdings wandern schon mal einige Hunderter über den Tisch.
Selbstvergessen dreht ein Mann um die Vierzig die winzigen Autos in der Hand. Was wohl den Reiz ausmacht, diese alten Spielsachen zu sammeln? Ist es eine Sucht, ein Fieber? Ein etwa sechsjähriges Mädchen scheint schon infiziert zu sein: „Willst du nicht dieses Auto kaufen?“, fragt sie und zeigt auf ein blaues Auto mit Rückzugsmotor. Auf die Frage: „Was kann ich denn damit machen?“ fällt ihr spontan ein: „Aufs Regal stellen und manchmal abstauben“. Staubwischen als Hobby? Nein danke.
Selbst abgelutschte Plüschtiere werden gehandelt wie Antiquitäten. Ein kleiner Teddy für 400 Mark? Da zuckt der 50jährige Bartträger mit keiner Wimper. Ja, damit scheint er gerechnet zu haben. Für die kunstvoll geschnitzten Wayang Holzpuppen aus Indonesien interessiert sich dagegen niemand. Macht nichts, daß diese Art des Puppenspiels schon seit dreitausend Jahren existiert. Zum Sammeln eignen sich die Stabfiguren nicht.
Die anwesenden Kids lassen die meisten Sachen kühl. Für einen kleinen elektrischen Puppenherd könnte Leo sich allerdings buchstäblich erwärmen: „Sogar mit Backofen!“ Aber so klein, daß als Backform höchstens ein Fingerhut taugt. Auch die Teddybären, die den Kopf schütteln und nicken, wenn man ihren Schwanz bewegt (haben Bären überhaupt Schwänze? Mein Teddy hatte jedenfalls keinen), faszinieren ihn.
Aber bei einem Preis von 750 Mark für das kleinste Modell mit Mechanik muß Mutter leider abwinken. „Die sind nicht als Kinderspielzeug gedacht“, warnt der Verkäufer gleich und versäumt nicht den Hinweis darauf, daß solche Bären sogar schon im Louvre stehen.
Nun soll man zwar Kinder rechtzeitig an Museen heranführen. Ohne entsprechenden Museumsetat wird es aber wohl auch in diesem Jahr wieder bei Lego, Baufix und Büchern bleiben. Für den Kleinen vielleicht einen Druckkasten und Buntstifte. Wenn sich der Platz dafür findet, wäre natürlich auch eine Sprossenwand mal was verschärftes.
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