: Sanftmütige Barbaren
■ Erstes Selbsthilfeprojekt türkischer Jugendlicher
„Jetzt haben wir drei Jahre gewartet, aber unsere Geduld hat sich bezahlt gemacht“, sagt Ismail Evvan. Der 21jährige lacht, und dazu hat er allen Grund: Gestern wurde endlich der Schlüssel zum „Treff 62“ in der Schöneberger Katzlerstraße übergeben, dem ersten Selbsthilfeprojekt türkischer Jugendlicher in Berlin. Statt sich weiterhin mit anderen Streetgangs Schlägereien zu liefern, wollten Ismail, Munif und die anderen „Barbaren“ eigentlich schon im vergangenen Jahr damit beginnen, die Kids von der Straße zu holen.
Noch vor drei Jahren haben sie selbst die meiste Zeit dort verbracht und sich in ihrer Gang, der zeitweise bis zu 200 Jugendliche zwischen 15 und 25 angehörten, „zu Hause“ gefühlt. Dazu gehörten Prügeleien mit anderen Gruppen und auch schon mal das Knacken eines Autos oder Automaten. „Wir haben eben auf der Straße rumgehangen“, sagt Ismail, „aber wohin sollten wir auch?“ Spielplätze und Jugendtreffs gibt es im Norden Schönebergs kaum, dafür Spielhallen, Zockercafés und Bars. Doch die kosten Geld, und das fehlte.
„Das änderte sich erst, als die Leute von ,Gangway‘ Kontakt zu uns aufgenommen haben.“ Gemeinsam mit den Schöneberger Streetworkern entstand die Idee eines selbstorganisierten Jugendcafés. „Am Anfang war die Finanzierung unklar, am Ende dann die Bauplanung einfach schlecht“, so erklärt Monika Schenk, eine der drei MitarbeiterInnen, die den „Barbaren“ mit Rat und Tat zur Seite stehen, die Verzögerung bei der Umsetzung dieser Idee.
Schließlich teilten sich Sozial- und Jugendverwaltung die Anschubfinanzierung des Treffs und stellten außerdem eine Finanzierung bis Ende 96 in Aussicht. Inzwischen sind fünf der sechs Räume in dem Kiez zwischen Yorckbrücken und Sozialpalast zwar frisch renoviert, aber noch leer. In zwei Wochen soll die Arbeit im „Treff 62“ richtig losgehen. Dann soll es hier einen Fitneßraum, ein Café und eine Disco und auch einen Raum nur für Mädchen geben. Die „Barbaren“ wollen hier Konzerte, Ausflüge und Parties organisieren, über Drogen und Kriminalität, Ausländerrecht und Arbeitslosigkeit reden, Hausaufgabenhilfe und Selbstverteidigung, Streetdance und Airbrush anbieten. Die Öffnungszeiten sind von 12 bis 22 Uhr.
„Natürlich sprechen wir überwiegend türkische Jugendliche an, aber wir wollen alle hier rein holen“, sagt der 24jährige Munif. „Aber an die Deutschen ranzukommen, ist ziemlich schwer.“ Ihre Hauptaufgabe sehen die „Barbaren“ beim türkischen Nachwuchs: „Wenn sie hier sind, kommen sie nicht auf dumme Gedanken.“ Munif glaubt, daß sie viel leichter Zugang zu den türkischen Kids finden als professionelle SozialarbeiterInnen. „Sie sind zwischen uns groß geworden, wir sind so was wie Brüder für die und deshalb haben sie Vertrauen zu uns.“ Große und kleine „Schwestern“ gibt es bisher kaum. Die Streetgang war ein reiner Jungenclub, und auch im Treff dominieren die Jungs. Das soll sich ändern. Eine Sozialarbeiterin ist speziell für den Aufbau der Mädchenarbeit zuständig: „Dienstag wird Mädchentag“, sagt Martina Duhn, „und viele Mädchen aus der Nachbarschaft haben sich bereits angekündigt.“ Sabine am Orde
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen