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Nagelprobe am Kaukasus

Die KSZE soll zu einem effektiven Sicherheitsbündnis ausgebaut werden / Der russische Wille zur Zusammenarbeit wird an der Bereitschaft gemessen, die Entsendung einer KSZE-Truppe nach Nagorny Karabach zu akzeptieren  ■ Von Jürgen Gottschlich

„Die KSZE, die europäische Dauerkonferenz zu Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit, diese KSZE“, sagt Istvan Szent- Ivanyi, „ist eine Schön-Wetter-Organisation. Wenn es wirkliche Probleme gibt, fällt sie aus.“ Der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des ungarischen Parlaments steht mit dieser Auffassung nicht allein. Auch in anderen Ländern Osteuropas gilt die KSZE seit dem Ende des Kalten Krieges als Papiertiger. Viele schöne Worte, keine Konsequenzen, also auch keine Sicherheit.

Das soll sich jetzt ändern. Am Montag und Dienstag kommender Woche treffen sich die 53 Staats- und Regierungschefs der KSZE- Mitgliedsländer zum dritten Gipfeltreffen seit dem Fall der Berliner Mauer, um diesmal tatsächlich ernsthaft eine neue Sicherheitsordnung für Europa auf den Weg zu bringen. Außer viel gutem Willen gibt es im Unterschied zu den vorangegangenen Gipfeltreffen auch eine Interessenübereinstimmung wichtiger KSZE-Länder, die tatsächlich zu substantiellen Veränderungen führen könnten. Katalysatoren dieser Entwicklung sind paradoxerweise gerade die KSZE- Skeptiker in Ungarn, Polen und Tschechien. Weil man in Budapest, Prag und Warschau an die KSZE nicht glaubt, drängen alle drei Staaten vehement in die Nato. Alle drei machen keinen Hehl daraus, daß sie das im Januar von der Nato angebotene „Partnership for Peace“-Konzept bei wohlwollender Interpretation höchstens für einen ersten Schritt zur Mitgliedschaft halten, keinesfalls aber mit dieser Ebene der Zusammenarbeit zufrieden sind.

Warum aber ziert sich das Nordatlantische Bündnis, drei begeisterte neue Mitglieder aufzunehmen? Die Antwort heißt Rußland. Zwar betont die Nato laufend, sie werde Rußland nicht das Recht einräumen, mit zu entscheiden, wer bei ihnen Mitglied wird. Gleichzeitig will man aber gerade die aktuelle politische Führung in Moskau nicht vor den Kopf stoßen. Eine mögliche Lösung aus dem Dilemma ist die KSZE. Jelzin und seine Crew erklären schon seit längerem ihre Bereitschaft, die KSZE zu einem funktionierenden Sicherheitsbündnis auszubauen, einfach deshalb, weil es die einzige gesamteuropäische Organisation ist, an der Rußland teilnimmt und eine wichtige, neben den USA und der EU entscheidende, Rolle spielen können. Sowohl während seines letzten Besuchs in Bonn als auch im August vor den Vereinten Nationen in New York hat Jelzin vorgeschlagen, die KSZE als UNO- Regionalorganisation aufzubauen und handlungsfähig zu machen. Zu diesem Zweck wollen die Russen einen KSZE-Exekutivrat schaffen, der nach dem Vorbild des UN-Sicherheitsrates als enger Führungs- und Entscheidungszirkel der 53 KSZE-Staaten agieren soll. Statt wie bisher nur Beobachterdelegationen auszusenden, deren Berichte anschließend im Archiv verstauben, soll die KSZE sich auf einen Sanktionskatalog bei Verstößen gegen ihre Prinzipien einigen und auch selbst Blauhelmeinsätze in Krisengebieten durchführen. Gedrängt von der Bundesrepublik und den Niederlanden, hat sich die EU diesen Vorschlägen mittlerweile angenähert. Differenzen mit Rußland gibt es eher in der Form als in der Sache. Statt eines europäischen Sicherheitsrates – wir wollen kein neues Zwei-Klassen- Recht innerhalb der KSZE, heißt es dazu im Bonner Außenministerium –, schlagen Holländer und Deutsche vor, die Rolle des amtierenden Vorsitzenden, der jeweils rotiert, und vor allem die Position des Generalsekretärs der KSZE wesentlich zu verstärken. Dabei steht auch die bislang wirksamste Selbstblockade der KSZE zur Disposition: die Einstimmigkeit. Da in heiklen Fragen eine Einstimmigkeit der 53 KSZE-Staaten nie zustande kommt, war die Organisation schon deshalb bisher außerstande, aus ihren schönen Erklärungen auch Konsequenzen zu ziehen. Deshalb soll der amtierende Vorsitzende zukünftig die Möglichkeit erhalten, „in einem klar umrissenen Bereich Verfahrensentscheidungen zu Mehrheitsabstimmungen vorzulegen“. Außerdem soll die Effektivität der KSZE durch einen ständigen Botschafterrat, ähnlich dem der Nato, wesentlich erhöht werden. Selbst in der US-Administration, an der KSZE seit dem Ende des Kalten Krieges eher desinteressiert, zeichnet sich ein Meinungswandel ab. Eben als Kompensation für die Aufnahme der drei osteuropäischen Staaten in die Nato, die aus der Sicht Washingtons innerhalb der nächsten Jahre unumgänglich wird, soll die KSZE im Interesse Jelzins aufgewertet werden. Der russische Präsident möchte in Budapest erreichen, daß die KSZE sich den Auftrag erteilt, bis zum Gipfel in Lissabon 1996 ein Modell für die künftige europäische Sicherheitsarchitektur zu erarbeiten. Vor dem großen Wurf wollen Amerikaner und Westeuropäer aber erst einmal eine praktische Erprobung der russischen Kooperationsbereitschaft setzen. Stattfinden soll die Probe aufs Exempel in Nagorny Karabach.

Um die armenische Enklave in Aserbaidschan wird seit 1988 zwischen Armeniern und Aseris erbittert gekämpft, vor allem zu Lasten der aserbaidschanischen, aber auch der armenischen Zivilbevölkerung. Nach einem weitgehenden militärischen Erfolg der Armenier, der nicht zuletzt russischer Unterstützung zu verdanken ist, herrscht seit Mai ein Waffenstillstand. Unter dem Protektorat Moskaus verhandeln die Kriegsparteien zur Zeit über eine Friedensregelung. Zur Überwachung des Waffenstillstandes soll – so die EU und USA – in Nagorny Karabach der erste von der KSZE organisierte und geleitete Blauhelmeinsatz stattfinden. Um den multinationalen Charakter der Truppe zu betonen, sollen von den geplanten 3.000 Soldaten höchstens 30 Prozent aus Rußland kommen.

Der Generalsekretär der KSZE, zur Zeit der Deutsche Wilhelm Höynck, hat bereits in 26 KSZE-Staaten nachgefragt, ob sie bereit sind, Truppen für einen Blauhelmeinsatz im Kaukasus bereitzustellen. Doch noch sträuben die Russen sich gegen die Aktion. Sie wollen die Kontrolle im eigenen Hinterhof nicht verlieren, zumal für sie im Bereich des Kaspischen Meeres erhebliche Öl-Interessen auf dem Spiel stehen, und der Krieg um Karabach aus russischer Sicht ein probates Mittel war, Aserbaidschan unter Druck zu setzen.

„Wir haben“, heißt es in Bonn dazu süffisant, „in Moskau immer wieder darauf hingewiesen, daß das erklärte Interesse Rußlands an einem Ausbau der KSZE nach unserer Auffassung mit dem tatsächlichen Verhalten Rußlands bei den Verhandlungen um die Karabach- Mission unserer Auffassung nach nicht korrespondiert.“ Das soll sich nach Budapest ändern.

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