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Traditionell minimalistisch

■ Die renommierte Möbelfirma Thonet präsentiert ihr neuestes Stuhlmodell

„Wenn ein architekt diesen stuhl fünfmal so teuer, halb so bequem und ein viertel so schön macht, kann er sich einen namen machen.“ So enthusiastisch kommentierte 1927 der moderne Architekt Poul Hemmingsen ein Sitzmöbel, das nicht nur dem Erfinder einen Namen, sondern auch Geschichte machte: der Stuhl Nummer 14 des rheinischen Möbeltischlers Michael Thonet. Der hatte 1819 in Boppard am Rhein eine Tischlerwerkstatt gegründet und schon mit seinem ersten Bugholzstuhl Furore gemacht. Mit der berühmten Nummer 14, dem sogenannten „Konsumsessel“, wurde jedoch eine entscheidende Neuerung eingeführt, die Massenproduktion. Das zeitlose Möbel stand nicht nur in den Salons oder teuren Restaurants, sondern auch in den Wohnungen der kleinen Leute. Von 1859 (dem mutmaßlichen Geburtsjahr) bis 1930 wurden von dem noch heute produzierten Modell rund 50 Millionen Stück angefertigt.

In dieser Woche präsentierte Peter Maly, Innenarchitekt und Möbeldesigner, in seinem Hamburger Studio gemeinsam mit den Brüdern Thonet der Presse die neue Thonet-Möbelkollektion 737. Pünktlich zum 175jährigen Bestehen der renommierten Möbelfirma geht das neue Modell in Serie.

„Wir wollten einen Holzstuhl, der sehr leicht und zierlich wirkt, mit Holzdimensionen, die soweit reduziert sind, wie das technisch und handwerklich überhaupt möglich ist“, sagt Peter Maly. „Und jetzt ist das Ergebnis so selbstverständlich, daß man gar nicht vermutet, wieviel Aufwand in dieser klaren und minimalistischen Form steckt.“ Tatsächlich ist der gurtbespannte Holzrahmen so federleicht und unkapriziös, daß man dem Eindruck erliegt, diesen Stuhl habe es schon immer gegeben, er sei einem wohlvertraut. In der schlichten, von allem Überflüssigen entkleideten Form, die Stabilität und Bequermlichkeit gewährleistet, läßt sich die jahrelange Entwicklungsarbeit erahnen.

Möbeldesigner Maly sieht sich in der Tradition des Bauhaus-Stils, betont aber, daß die Funktion im Vordergrund bleibt. Und steht damit ganz in der Tradition des Hauses Thonet. Dessen Richtlinien heißen: lange Haltbarkeit, fachmännische Verarbeitungsqualität und hoher Gebrauchsnutzen, klare Formen und geringer Materialeinsatz.

Der neue Stuhl Nummer 737 (mit dem dazu passenden Tisch 1737) hält sich ganz innerhalb dieses Rahmens. Das Gestell aus naturfarbener heimischer Buche - die Eckverbindungen bestehen aus mehrfach geschlitzten Zapfen - ist umspannt mit Gurten aus speziell gewebter Baumwolle. Der dazugehörige Tisch aus Buche kann wahlweise mit einer Buchentischplatte ausgestattet werden oder mit einem Linoleumbelag in verschiedenen Farben. (Linoleum ist eine Verbindung aus Kork, Leinöl und Harz, die sich leicht pflegen läßt.)

So ließe sich Poul Hemmingsens Lobgesang wohl auch auf Stuhl 737 übertragen - bis auf den ersten Teil: Das gute Stück kostet 950 Mark, das mögen wir nicht noch weiter hochrechnen. Aber vielleicht haben die Leut' im 19. Jahrhundert ja besser verdient.

Elsa Freese

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